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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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ihm zwar bereitwillig Feder und Tinte gebracht, aber keine Streusandbüchse auftreiben können. So waren einige seiner Notizen stark verwischt. Aber das machte nichts. Eigentlich waren diese Zettel ganz überflüssig, sein Gedächtnis war ausgezeichnet. Aber sein Gekrakel mit der Feder nahm den Befragten bald das Gefühl, beobachtet zu werden, weshalb Wagner in der Regel sehr viel mehr erfuhr, als sich auf den Zetteln wiederfand.
    Die Sonne war verschwunden, es war höchste Zeit, tatsächlich war er schon um etliches zu spät, aber er wußte Rosina in guter Obhut, und so machte er sich ohne die eigentlich gebotene Hast auf den Weg.

6.   KAPITEL
    DONNERSTAG, DEN 8.   OKTOBER, ABENDS
    An den langen Bänken und Tischen in der Schenke zum
Bremer Schlüssel
drängten sich die Männer, nicht einmal ein dreibeiniger Hocker war noch frei. Jakobsen, der Wirt, wuchtete ein neues Bierfäßchen auf das Gestell aus harten Eichenhölzern, und aus der offenen Tür zur Küche drang der köstliche Duft nach Ochsenschwanzsuppe, Krebspasteten und, das glaubte Rosina jedenfalls durch den Dunst von Branntwein, Bier, säuerlichem Wein und Tabakqualm zu riechen, von Französischem Frikassee, der neuesten Spezialität von Jakobsens Schwester. Ruth war irgendwann, nun schon vor etlichen Jahren, aus der Küche einer feinen Herrschaft gekommen, hatte ihrem Bruder den Löffel aus der Hand genommen und führte seither das Regiment am Herd in dem engen, stickigen Raum hinter dem Schanktisch. Nun gab es im
Bremer Schlüssel
keine klebrigen Gläser und Krüge mehr und an den hinteren Fenstern auch einige kleinere Tische, die für das etwas bessere Publikum reserviert waren.
    Der Duft des Frikassees aus Kalb-, Huhn- und Lammfleisch, vermengt mit viel Zwiebeln, Eidottern, Pfeffer und geriebener Muskatnuß, Kapern und auch etwas weißem Wein, war köstlich, und plötzlich konnte Rosina sich vorstellen, wieder etwas zu essen. Bevor sie sich jedoch zu Ruth in die Küche oder auch nur zu Jakobsen an denSchanktisch durchdrängeln konnte, hatte Vandenfelde sie schon entdeckt. Der Metzger im Schlachthaus bei der Heiliggeistbrücke sprang freudig auf, schwenkte seinen Krug, rief: «Achtung, sie kommt», und winkte Rosina eifrig zu sich heran.
    Vandenfelde war einer von Jakobsens treuesten Kunden, und weil bei Jakobsen keiner auch nur einen Tropfen bekam, der über die Komödianten herzog, hatte er sich schon lange entschlossen, lieber auf den Branntwein zu setzen. Er mußte wirklich zugeben, daß der dicke Titus, Hanswurst in der Beckerschen Komödiantengesellschaft und einer von Jakobsens besten Freunden, ein Mann nach seinem Geschmack war. Gar nicht gespreizt, wie man es von Akteuren sonst kannte, und wenn er nur einmal auf den Tisch haute, blieb nichts stehen.
    Alle im
Bremer Schlüssel
, der ja nur wenige Schritte vom Krögerschen entfernt war, wußten, daß Rosina die Beckerschen verlassen hatte und zu den Leuten am Gänsemarkt übergelaufen war. Die Meinungen darüber gingen weit auseinander, sehr weit sogar. Aber das, fand man letztlich, sei Rosinas Sache, und wer legte sich schon gerne mit Jakobsen an? Der hatte sich nämlich zu ihrem Beschützer ernannt. Nun, da Rosina so weit von ihrer Familie entfernt war – so sagte er immer: von ihrer Familie, obwohl doch keiner wußte, wer ihre richtige Familie war oder ob sie überhaupt eine hatte.
    Schon seit einer Stunde hatte Vandenfelde damit angegeben, auf wie vertrautem Fuß er mit ihr stehe, und sobald sie komme, ganz gewiß komme sie heute, werde er alles über den Mord im Theater erfahren, Rosina sei schließlich dabeigewesen. Und nun war sie endlich da, und was passierte?
    «Nichts da, Vandenfelde, du grober Klotz», rief Jakobsenund schob seinen schweren Leib mit der bierfeuchten Lederschürze durch die Menge der Männer, die Rosina sofort umringt hatte. «Ich hab dir vorhin schon gesagt, daß du das Mädchen in Ruhe lassen wirst. Die ist nicht ans Morden gewöhnt wie du. Glaubst du, sie hat Lust, euch geifernden Kerlen davon zu erzählen, als wär’s ein Hunderennen auf dem Heiligengeistfeld gewesen?»
    Nun hatte gerade Vandenfelde keine grobe Seele, wie man sie den Metzgern gerne nachsagt, nein, jedes Tier, das nicht fachgerecht getötet wurde oder an einem stumpfen, schartigen Messer leiden mußte, jammerte ihn und verdarb ihm die Lust aufs Abendessen. Aber das hier war etwas anderes. Ging das nicht alle an? Es war ja auch nicht ihre Schwester, die da das Zeitliche gesegnet hatte.
    «Laß

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