Lost in Ireland - Verschollen in Irland
er wusste, dass sie dann nicht gefahren wäre?
Ruth dachte über Connys Worte nach. Die Freundin hatte die Situation perfekt beschrieben. Sie hatte die Woche in Dublin tatsächlich als Chance für ihre Ehe gesehen, und deshalb hatte sie den Mut aufgebracht, sich gegen Georg durchzusetzen. Ein paar Tage Trennung, die man nicht so bezeichnen musste, weil es einen offiziellen Grund dafür gab, würden ihnen beiden gut tun. Sie hoffte sehr, dass Georg in den fünf Tagen ihrer Abwesenheit merken würde, wie viel sie für die Familie tat.
Nicht nur hatte sie ihre Arbeitszeiten nach dem Stundenplan der Kinder ausgerichtet, sie hatte auch ein überaus lukratives und vor allem reizvolles Angebot ausgeschlagen. Als Ruth erfahren hatte, dass der neue Job nur mit einer Vollzeitstelle zu machen war, hatte sie abgelehnt. Obwohl es die Traumstelle schlechthin gewesen wäre.
“ → It’s a pity ”, hatte Powell gesagt. Er war der Chef ihres Vorgesetzten und kam regelmäßig aus den USA, um nach dem Rechten zu sehen. Er hatte kein Hehl aus seiner Enttäuschung gemacht. “Your talents are → wasted in your → current → position . → Think it over . That’s an → order ! I’ ll → keep it open for you until you get back from Ireland.”
Frank hatte seinen Vortrag beendet, und Ruth klopfte schuldbewusst wie die anderen Teilnehmer auf den Tisch.
“It will be five hard days”, sagte Ian neben ihr.
“Sorry?”
“It looks like we’re going to work quite hard here over the next five days”, erklärte Ian.
“Oh”, machte Ruth. “Yes, I think you’re right.” Sie deutete unsicher zur Tür. “Sorry, but I need to ...”
“Sure, no problem”, sagte Ian und lächelte.
Ruth verließ den Konferenzraum und suchte die Toiletten. Warum nur hatte sie plötzlich so starkes Herzklopfen? Ian war absolut nicht ihr Typ.
Sie wusch sich die Hände und das Gesicht und steckte die Haare neu hoch.
Prüfend schaute sie in den Spiegel. Kaum Falten um die Augen, und die paar grauen Haare zwischen den blonden sah man zum Glück nicht. Ruth grinste ihr Spiegelbild an und zog die Lippen nach.
“Enjoy yourself and think about my offer”, hatte Powell am Freitag noch einmal gesagt. “It’s your big chance.”
Vielleicht sollte ich diese Chance wirklich nutzen, dachte Ruth und ging zurück in den Konferenzraum.
Three
Ruth zerrte die Bluse herunter und schleuderte sie auf das Bett. Das war doch lächerlich, was sie hier veranstaltete. Sie wollte mit ein paar anderen Konferenzteilnehmern etwas in einem Pub um die Ecke trinken, mehr nicht. Dennoch hatte sie den Wunsch, gut auszusehen.
Schließlich entschied sie sich für ein T-Shirt mit goldenem Aufdruck, das je nach Geschmack kitschig oder auch elegant wirken konnte. Darüber der dunkle Blazer. Nur die Jeans war von Anfang an über jeden Zweifel erhaben gewesen.
Es klopfte an der Tür.
“Are you ready?” Das war Julie. Eine runde, gemütlich wirkende Belgierin, die sie gefragt hatte, ob sie Lust hätte mitzugehen.
“Just a minute!”, rief Ruth und nahm die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. Nein, das sah zu businessmäßig aus. Unschlüssig löste sie die Spange und ließ die Haare auf die Schulter fallen. Aber auch damit war sie nicht zufrieden. Mit einer energischen Handbewegung steckte sie die Haare hoch und zog die Lippen nach. Sie warf einen Blick auf das Parfum, das Conny ihr geschenkt hatte. Sie hatte nur kurz daran geschnuppert, den Duft aber als zu intensiv für sich empfunden.
Ruth zögerte. Dann nahm sie entschlossen den Flakon und sprühte ein wenig auf ihren Hals und die Handgelenke.
Sie sah in den Spiegel und musste grinsen.
“Sorry!”, sagte sie, als sie kurz darauf ihr Zimmer verließ.
“I had problems with my → zip .”
Julie machte eine abwehrende Handbewegung.
“No problem. I was early → anyway .” Sie maß Ruth von oben bis unten und rief dann: “You look → gorgeous . Men will have to be careful tonight!”
“Thanks.” Ruth fühlte, wie sie rot wurde. Das konnte ja heiter werden. Kaum war sie mal ohne Familie unterwegs, fühlte sie sich wie ein Teenager.
In der Eingangshalle trafen sie Claudia, eine zierliche Italienerin, und Hannes, einen weiteren deutschen Teilnehmer aus Hamburg.
Ruth fühlte sich beobachtet und drehte sich suchend um. Ein Mann in dunkler Kleidung saß auf einem Sofa, aber wegen der Blumengestecke in der Lobby konnte sie sein Gesicht nicht erkennen. Dennoch war sie sich sicher, dass es der Mann von heute
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