Lost on Nairne Island
Ãberschriften lautete: VERMISSTE TEENAGER VERMUTLICH TOT . Ich spürte, wie sich mir die Nackenhaare aufstellten. In der Kiste befanden sich zahlreiche Dokumente. Die ganze Zeit war ich erpicht gewesen, mehr herauszufinden, doch jetzt, da alles vor mir lag, war ich mir gar nicht mehr so sicher, ob ich es wirklich wissen wollte.
»Schön zu sehen, dass sich Leute in deinem Alter für Geschichte interessieren«, meinte die Bibliothekarin. »Du weiÃt doch, was man so sagt, nicht wahr? Diejenigen, die nicht aus der Geschichte lernen wollen, tendieren dazu, sie zu wiederholen.«
Nachdem sie wieder gegangen war, verfrachtete ich auch noch die beiden übrigen Kisten auf den Tisch. Ich zog reihenweise Akten heraus und versuchte festzustellen, ob es eine bestimmte Ordnung gab. Ich fand Zeitungsausschnitte zu diversen Festivitäten auf der Insel: Paraden anlässlich des Nationalfeiertags am 4. Juli, Schultheateraufführungen, die Wahl des neuen Polizeipräsidenten. Die älteren Ausschnitte waren vergilbt und brüchig. Alles in allem sah es nicht so aus, als würde hier auf Nairne Island groà die Post abgehen. Dann blieb mein Blick an etwas hängen. Der Artikel stammte aus dem Jahr 1924 und die fette Schlagzeile stach sofort ins Auge:
INSELBEWOHNERIN STIRBT BEI
TRAGISCHEM UNFALL
Molly OâShannon, 17, wurde gestern in den frühen Morgenstunden auf dem Morrigan-Anwesen tot aufgefunden. Sie war dort als Angestellte tätig. Jonathon Mark, der Butler des Hauses, fand ihren Leichnam am Fuà der Haupttreppe. Todesursache ist Genickbruch nach einem schweren Sturz.
Miss OâShannon lebte seit knapp über einem Jahr auf der Insel und arbeitete als Dienstmädchen auf Morrigan. »Ein schrecklicher Verlust. Sie war ein reizendes Mädchen. Wir hatten nie irgendwelche Probleme mit ihr«, erklärte Mr Wickham, der im Namen der gesamten Familie sein Beileid zum Ausdruck brachte. Berichten zufolge sollen die Wickhams angeboten haben, die Kosten für die Beerdigung des Mädchens zu übernehmen. Am kommenden Sonntag, um 14 Uhr, findet in der presbyterianischen Kirche eine Messe für sie statt. Besucher sind herzlich willkommen.
Ich holte noch einmal den Artikel hervor, auf den ich zuvor gestoÃen war. Ein kurzer Blick auf das Datum verriet mir, dass er vor etwas mehr als zwanzig Jahren erschienen war.
VERMISSTE TEENAGER VERMUTLICH TOT
Die Suche nach den zwei verschwundenen Schwestern wurde heute beendet. Beide Mädchen, 16 und 18 Jahre alt, sind seit dem 30. Mai als vermisst gemeldet.
Die Mädchen wurden zuletzt bei einer Party am Tara Cove Beach in der Nacht zum dreiÃigsten gesehen. Drei Zeugen erinnern sich, dass die beiden gesagt hätten, sie wollten auf dem Morrigan-Anwesen auf »Geisterjagd« gehen. Zeugen haben auÃerdem bestätigt, dass die Mädchen alkoholisiert waren. Die Suche konzentrierte sich zunächst auf das zu Morrigan gehörige Grundstück und die nähere Umgebung des Anwesens, doch fehlt von den Mädchen bislang jede Spur.
»Es ist fast so, als wären sie vom Erdboden verschluckt worden«, sagte Holly Watson, eine Schulfreundin der beiden Mädchen, bei einer Kerzenandacht vergangene Woche. Die Eltern der Mädchen weigerten sich, einen Kommentar abzugeben. Mabel Brink, ein Mitglied der Familie, gab jedoch folgende Einschätzung: »Sie waren gute Mädchen. Was auch immer ihnen zugestoÃen ist, sie haben es nicht verdient. Diejenigen, die behaupten, sie wären einfach davongelaufen, sollten sich schämen.«
Constable Edmunds äuÃerte, dass es nicht praktikabel sei, die Suche nach so langer Zeit ohne konkrete Hinweise fortzuführen. »Unsere Hoffnung besteht darin, dass die Mädchen mit irgendjemandem aufs Festland gefahren sind. Möglicherweise geht es ihnen gut, und sie haben nur Angst, zu Hause anzurufen, weil sie wissen, dass sie Mist gebaut haben. Unsere schlimmsten Befürchtungen sind jedoch, dass sie spätnachts noch schwimmen gegangen oder mit dem Boot rausgefahren sind und dann einen Unfall hatten. Wir haben sie in unsere Vermisstenkartei aufgenommen, können jedoch für den Moment leider nichts weiter tun.«
Jeder, der Hinweise liefern kann auf den Verbleib der Mädchen, wird gebeten, sich telefonisch mit Constable Edmunds in Verbindung zu setzen.
Ich rieb mir den Nacken. Vielleicht lag es ja an der kleinen, verschwommenen Schrift oder an dem vielen
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