Lost on Nairne Island
hatte, gab es so gut wie nie eine Parkmöglichkeit. Meistens konnte ich auch bei jemandem mitfahren, und wenn nicht, gab es immer noch die öffentlichen Verkehrsmittel. Auf Nairne Island suchte man nach so was allerdings vergeblich. Noch nicht einmal auf alte Hippie- VW -Busse, die mit ranzigem Pflanzenöl liefen, konnte man als öffentliches Verkehrsmittel zugreifen. Der Schulbus fuhr zweimal täglich, das half mir also herzlich wenig. Und aus diesem Grund stand ich jetzt in der Garage und versuchte, ein altes Fahrrad von Spinnweben zu befreien, die sich mindestens ein ganzes Jahrhundert lang dort angesammelt haben mussten.
Meine Mom steckte gerade den Kopf zur Garage herein. »Bist du dir sicher, dass ich dich nicht fahren soll?«
»Nein, danke. Ich hab gern mein eigenes Transportmittel, damit bin ich unabhängiger.« Etwas fiel hinten vom Fahrrad ab und kullerte davon. Ich zerrte das Rad raus. Die Reifen wirkten ein klein wenig platt, aber wenn ich sie erst mal aufgepumpt hatte, würde ich es damit sicherlich bis in die Stadt schaffen. Vorne am Lenker war ein alter, rostiger Korb befestigt, in den ich jetzt meinen Rucksack warf. »AuÃerdem macht es bestimmt SpaÃ, mit dem Fahrrad zu fahren.«
Mom wirkte nicht ganz so überzeugt. Sie sagte zwar nichts, doch mir war klar, dass sie mir meine neue Fahrradbegeisterung nicht wirklich abkaufte. Um ehrlich zu sein, bin ich generell nicht besonders sportlich. Ich würde nie freiwillig schnell laufen, auÃer irgendjemand, der mir an den Kragen wollte, war hinter mir her. Und was Ballspiele betrifft, fehlt mir einfach irgendwas, um Distanzen richtig einzuschätzen. Im Sportunterricht bin immer ich diejenige, die den Ball mitten in die Fresse kriegt. Volleyball, Softball, Basketball, diese fiesen roten Medizinbälle ⦠wie sie alle heiÃen, ich hab sie durch die Bank auf die Nase bekommen.
Es dauerte nur wenige Minuten, die Reifen aufzupumpen, dennoch war ich schon fast ein bisschen auÃer Puste, als ich das Fahrrad schlieÃlich raus auf den Hof schob und aufstieg. Das Rad war hellblau und sah aus, als stammte es aus den Fünfzigerjahren des vorigen Jahrhunderts. Ich redete mir ein, dass dieser Vintage-Look gerade total in war, und trat in die Pedale. Ich hätte schwören können, dass die StraÃe in Richtung Stadt gestern noch total eben verlaufen war, doch jetzt, da ich auf dem Fahrrad saà und mich abstrampelte, fiel mir auf, dass da doch ein paar Hügel waren. Eine ganze Menge Hügel sogar. AuÃerdem wurde mir schmerzhaft bewusst, dass meine Kondition nicht besser war als die einer Achtzigjährigen, die zudem jeden Tag mehrere Packungen Zigaretten ohne Filter qualmte. Nathaniel überholte mich mit seinem Wagen und wurde dabei etwas langsamer. Ich hätte ja was gesagt, aber ich keuchte und schnaubte und schnappte wild nach Luft. Er schüttelte den Kopf, dann trat er wieder aufs Gas. Ich konnte nur hoffen, dass mein kleiner Ausflug in die Bücherei das wert war.
Die Stadtbücherei von Nairne lag mitten in der Innenstadt, wobei der Ausdruck »Innenstadt« ein wenig übertrieben war. Sie umfasste im GroÃen und Ganzen gerade mal vier StraÃen, wobei mehr als die Hälfte der Gebäude irgendwelche Touristenshops beherbergte, die sowieso nur in den Sommermonaten geöffnet hatten. Wenn man auf der Suche nach T-Shirts, billigem SüÃkram oder selbstgemachter Seife mit Muscheln drin war, dann war die Innenstadt von Nairne das reinste Shoppingparadies. Die Bücherei befand sich in einem umgebauten Wohnhaus, in dem zugleich das Postamt angesiedelt war.
Die Bibliothekarin (die auch als Leiterin des Postamts fungierte) musterte mich ganz genau, als ich eintrat, als würde sie mich im Verdacht haben, ich könnte mir jeden Moment ein paar Taschenbücher unters T-Shirt stopfen und dann wegrennen.
»Kann ich dir helfen?« Ihr Lächeln wirkte derart angespannt, dass ich mich schon fragte, ob sie wohl gerade an einer Zitrone gelutscht hatte. Mir entging selbst aus dieser Entfernung nicht, dass ihr Lippenstift total verwischt war und sich in den Falten um den Mund herum festgesetzt hatte. Es wirkte fast so, als gingen Tentakel von ihrem Mund aus. Ihr Gesicht war umrahmt von einer grauen Mähne.
»Ich komm schon klar, vielen Dank.« Dann sah ich mich in dem Raum um.
»Tut mir leid, aber es ist nur Ortsansässigen gestattet, sich Bücher
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