Lost on Nairne Island
auszuleihen.«
»Ich bin eine Ortsansässige.«
Ihre Augen wurden ganz groà und sie presste die Lippen gleich noch fester aufeinander. »Aha.« Sie verlagerte ihr Gewicht, als hätte sie soeben festgestellt, dass ihr die Schuhe zu eng waren. »Nun, mir ist bereits zu Ohren gekommen, dass Mr Wickhams neue Ehefrau eine Tochter hat. Willkommen auf der Insel.«
»Danke. Gibt es hier einen Computer, den ich benutzen kann?«
»Selbstverständlich. Dort drüben in der Ecke. Es gibt auch einen speziellen Bereich für Teenager, unter dem Fenster. Ich lasse dir einen Ausweis ausstellen, damit du dir Sachen ausleihen kannst. Die Leihfrist beträgt zwei Wochen, maximal zehn Artikel. Am Computer gilt eine zeitliche Begrenzung von zwanzig Minuten, sofern jemand anderer darauf wartet. AuÃerdem ist es strengstens untersagt, Seiten mit pornografischen Inhalten aufzurufen.«
»Verstanden. Zwei Wochen, zehn Artikel, zwanzig Minuten, keine Pornografie.«
Die Bibliothekarin schenkte mir ein weiteres zitronensaures Lächeln. Mir war klar, dass sie zu den Leuten gehörte, die Teenies hassten und uns insgeheim allesamt für drogensüchtige Hooligans hielten. Ich erwiderte ihr Lächeln und begann, zwischen den Regalen durch die Gänge zu schlendern. Das Glöckchen über der Tür läutete, als eine Frau rückwärts mit zwei riesigen Schachteln hereinkam, die sie rüber an den Postschalter schleppte. Ich hörte, wie die beiden etwas tuschelten, und als ich zu ihnen rübersah, starrten sie mich an.
Ich setzte mich an den Computer und rief Google auf. Ich fand ein paar Reiseberichte über die Insel (angeblich gab es in Melanies Bed-and-Breakfast »Sea Shanty« die besten Blaubeermuffins der gesamten Westküste) und ein paar vereinzelte Artikel zu ihrer Geschichte. Doch abgesehen von einer kurzen Notiz, in der die Beerdigung erwähnt wurde, fand ich wirklich nichts zu Dicks erster Frau und seiner Tochter. Vermutlich war die Story zu unbedeutend gewesen, um es in die gröÃeren Zeitungen zu schaffen. Ich versuchte es noch mit ein paar anderen Suchbegriffen. Dabei stieà ich auf einen Artikel zur Architektur der Westküste, in der Morrigan erwähnt wurde. Offenbar hatten die Wickhams früher in den Sommermonaten Führungen auf ihrem Anwesen angeboten. Bis im Sommer 1957 ein Tourist ganz übel die Treppe hinuntergestürzt war. Von da an war das Haus für die Ãffentlichkeit gesperrt worden. In dem Artikel stand leider nicht, ob der Tourist sich von seinem Sturz erholt hatte. Aber wenn er tatsächlich ums Leben gekommen wäre, hätte man das doch sicher erwähnt, oder?
»Aha. Morrigan«, sagte eine Stimme in meinem Rücken. Ich schreckte hoch und fuhr herum. Himmel. Die musste echt spezielle Bibliotheksschuhe mit superleisen Sohlen anhaben. Es handelte sich um eine weitere Bibliothekarin, jünger als die erste. Sie hatte ein nettes Lächeln und mir entging nicht, wie hübsch sie war. Doch modetechnisch hätte sie mal jemand unter die Fittiche nehmen sollen. Ihr Outfit war überwiegend in Pastell gehalten und mit dicken Schulterpolstern ausgestattet. Auf ihrem Namensschild stand Mandy . Sie blickte mir über die Schulter auf den Bildschirm und ich zuckte zusammen.
»Ãh.« Ich hätte nicht sagen können, ob das jetzt vielleicht noch schlimmer war, als mit irgendwelchen Pornoseiten erwischt zu werden.
Sie sah mir in die Augen. »Recherchierst du für die Schule zur Geschichte der Insel?«
Würde sie mich echt so leicht davonkommen lassen? »Ãh, ja, genau. Ich muss eine Arbeit dazu schreiben.«
»Dann siehst du dich besser mal im Archiv um. Auf der Insel gibt es ein paar Amateurhistoriker. Die haben einiges an Material zusammengetragen. Die Lokalzeitschrift hat es auch noch nicht ins Internet geschafft.« Sie deutete auf ein Regal zu meiner Linken. »Archivmaterial darf man leider nicht ausleihen, aber dort findest du vermutlich eher, was du suchst. Es gibt alte Briefe von Leuten, die früher hier gelebt haben, und alte Ausgaben der Lokalzeitung.«
»Danke.« Ich trat rüber an das Regal, auf dem drei Aktenkästen standen. Ich hievte einen von ihnen auf den nächsten Tisch und hob den Deckel hoch. Die Kiste war in verschiedene Fächer unterteilt und ich schnappte mir eine beliebige Akte. Es handelte sich um eine alte Ausgabe der Nairne News . Eine der
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