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Lost Place Vienna (German Edition)

Lost Place Vienna (German Edition)

Titel: Lost Place Vienna (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lost Place Vienna
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und dann auf seine Hand
überspringen. Durch den ganzen Körper würde er sich ziehen, bis ins Herz und in
den Kopf. Und dann würde er endlich zerspringen.
    Er ließ das Glas los und stand auf, nickte Bauer zu und verließ den
Wintergarten und das Haus, in dem er sogar die frischen Handtücher gefunden
hätte, wenn er nur gedurft hätte.
    Aber er durfte nicht. Er durfte überhaupt nur noch eins. So schnell
wie möglich Valentina Fleischhacker fassen, damit er einigermaßen aus der Sache
herauskam. Die Italiener konnten ihn am Arsch lecken. Mit denen würde er fertig
werden. Am Ende würde er es eben so drehen, dass er nur zum Schein für die
Mafia gearbeitet hatte, um in die inneren Strukturen der Organisation zu
gelangen. Aber es war besser, sich für die eigene Leute zu entscheiden. Hier
kannte er sich wenigstens einigermaßen aus. Hier wusste er, wo die Vasen
standen.
    * * *
    »Wir haben nicht die Revolution, sondern die Revolution hat uns
gemacht!«, schrie Danton gegen den metallenen Lärm an, der aus den
Lautsprechern über die Bühne und durch den Zuschauersaal bis in die Führerloge
fegte. Valentina war begeistert von der Lautstärke und dem Pathos, das die
Schauspieler in die Texte warfen. Jetzt aber schienen sich die Lippen der
Darsteller nur noch stumm zu bewegen. Jedenfalls drangen ihre Stimmen nicht
mehr zu ihr hindurch. Als hätte ihnen jemand den Ton abgestellt. Dafür
flimmerten jetzt vereinzelte Kindergesichter übergroß auf der Bühne, schwebten
körperlos im Raum. Valentina war beeindruckt.
    »Projektion auf Gaze. Ein Effekt, ähnlich wie bei einer
Luftspiegelung. Wird jetzt überall gemacht. Nachdem die Videoprojektionen
allmählich durchgehechelt sind, ist das an der Reihe. Ich bin gespannt, wann
wir mit 3-D-Brillen im Theater sitzen werden.«
    Adler wusste noch mehr darüber zu erzählen, aber Valentina gebot ihm
mit der Hand zu schweigen. Sie vernahm leises Flüstern, das sich allmählich
durch den Metallklangteppich durchzusetzen begann. Das Flüstern war mal
synchron mit den Lippenbewegungen der Darsteller, mal sprang es auf die Münder
der projizierten Kindergesichter. Aber sosehr sie sich auch mühte, sie konnte
den Wortlaut nicht verstehen.
    Adler beugte sich zu ihr und flüsterte ebenfalls: »Nimmt man das
Vaterland an den Schuhsohlen mit?«
    Valentina war fast zornig auf ihn. Sie wollte verstehen, was dort
unten gespielt wurde, und er stellte ihr so eine blöde Frage. Sie drückte ihn
von sich weg und blitzte ihn scharf an.
    Adler hob erschrocken die Hände, so als würde sie ihn mit einer
Pistole bedrohen.
    »Lass mich doch einfach mal das Stück anschauen und warte mit deinen
Kommentaren wenigstens bis zur Pause.«
    »Aber das war kein Kommentar. Das ist der Text. Mir schien, du
hättest ihn akustisch nicht verstanden.«
    Valentina sah auf die Bühne. Das Flüstern war zu einem asynchronen
Chor angeschwollen. Noch immer konnte man den Text nicht fassen. Es lag wohl in
der Absicht der Regie. Valentina versank in den einzelnen Kindergesichtern. Sie
erkannte, dass es sich um Kinder aus Krisengebieten handelte. Sie bewegten ihre
Lippen, aber man hatte ihnen die Tonspur genommen. Dafür quoll der Flüsterchor
der Darsteller über die Bilder, das eine oder andere Wort setzte sich auf den
Lippen eines Kindermundes fest, als würde es doch passen. Aber es gab nur für
einen Moment diese Illusion, dann murmelten sich Wörter und Lippen wieder
auseinander.
    »Wie heißt der Text noch mal?«
    »Nimmt man das Vaterland an den Schuhsohlen mit?«, antwortete Adler.
    Valentina war von hunderttausend Volt getroffen.
    »Nimmt man das Vaterland an den Schuhsohlen mit?« Das war wie für
sie persönlich geschrieben. Auch an ihren Sohlen hing das Vaterland. Sizilien. Die
Familie. Die Cosa Nostra, die sie nicht abschütteln konnte. Und mit einem Mal
entdeckte sie in all den Kindergesichtern sich selbst. Auch sie begann die
Lippen zu bewegen, flüsternd in den Chor einzusteigen. Dann erschrak sie, als
sie sich plötzlich nur noch selbst hörte. Der Metalllärm war mit einem Schlag
verstummt, das chorische Murmeln ebenfalls.
    Nur Valentina sprach: »Nimmt man das Vaterland an den Schuhsohlen
mit?« Sie starrte entsetzt in die fragenden Kindergesichter und hoffte, dass
das Stück nun gleich weiterging. Die Pause schien endlos, und ihr war, als
stierten achthundert Augenpaare nicht mehr auf die Bühne, sondern hoch zur
Führerloge, aus der sie in den stillen Raum gesprochen hatte.
    Adler schien die

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