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Lost Place Vienna (German Edition)

Lost Place Vienna (German Edition)

Titel: Lost Place Vienna (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lost Place Vienna
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einmal sammeln. Ebenso gut wie dieser
Geist, der behauptete, er sei ein italienischer Polizist, der Il Cervello
auf der Spur war, hätte ein österreichischer Polizeibeamter mit Handschellen
hier auf sie warten können. Oder der Kerl mit dem gestutzten Schnäuzer, der ihr
immer wieder begegnete.
    Sie war zu unvorsichtig. Sie hätte die dreiste Einladung des
Strippenziehers nicht so blauäugig annehmen dürfen. Aber wie sollte sie sonst
zum nächsten Cache gelangen? Wie der Wahrheit näher kommen? Und wer sagte, dass
dieser italienische Polizist überhaupt echt war? Immerhin befand sie sich im
Theater. Da konnte alles Inszenierung sein. War es das nicht auch? Waren nicht
auch die drei abgetrennten Frauenköpfe inszeniert gewesen? Die Frauen hatten
zwar tatsächlich sterben müssen, aber sie waren geschminkt gewesen, als kämen
sie gerade frisch aus der Tanztruppe einer Varieté-Show. Und die Köpfe, die
dort unten auf der Bühne rollten, konnten ebenso echt wie unecht sein.
    Die Tür der Loge öffnete sich. Valentina fuhr herum. Adler hielt
lächelnd eine Flasche Sekt mit zwei Gläsern in die Höhe.
    »Du bist ja ganz blass. Das macht diese unsägliche Aufführung. Aber
ich habe dich gewarnt. Der zweite Teil wird bestimmt nicht besser. Noch haben
wir die Chance zu fliehen.«
    »Schenk ein und halt den Mund. Ich muss das Stück zu Ende sehen.«
    »Hast du denn begriffen, worum es darin geht?«, fragte Adler,
nachdem er einen kräftigen Schluck Sekt genommen hatte.
    Valentina zuckte mit den Schultern. Sie hatte noch einzelne Bilder
und Textpassagen im Kopf, die eindrücklich schimmerten, aber eine Zusammenfassung
konnte sie nicht geben. Doch sie ahnte bereits, dass sie durch die Bilder und
Fragmente, die sich ihr Hirn aus dem Theaterabend griff, auf die Koordinaten
des nächsten Caches schließen würde. Wie, das wusste sie selbst noch nicht.
Aber sie wusste, dass sie dafür den zweiten Teil anschauen musste.
    »Laster oder Tugend, das wird in dem Stück verhandelt«, sagte Adler.
»Also wieder einmal das Über-Ich. Schon lange vor Freud.«
    »Und ich dachte, es ginge um die Frage, ob eine Revolution gelingen
und inwieweit sie überhaupt demokratisch sein kann.«
    »Unsinn. Das ist nur vordergründiges Geplänkel. Ob Robespierre die
Volonté générale überhaupt hören kann oder ob er sich das nur einbildet, um die
Rechtfertigung zu seinen Taten zu haben, das ist einerlei. Das Entscheidende
ist, dass er es für die Tugend tut. Ohne Tugend beginnt sein Gedankenbauwerk
einzustürzen. Und um das zu verhindern, lässt er köpfen. Danton ist die
Pestbeule, der Inbegriff des Lasters und der Sünde. Er ist ein fauler Apfel,
der alle anderen anstecken kann. Und das ist das Entscheidende: kann . Ob er es tut oder nicht, das ist egal. Aber ›die
Sünde liegt im Gedanken‹. Das sagt Robespierre. Und der Idiot von Dramaturg hat
es gestrichen.«
    Adler schenkte nach. »Weißt du, was das bedeutet? Du bist doch
Inspektorin, sag es mir.«
    »Das bedeutet, man kann jemanden bereits verurteilen, wenn er an
eine kriminelle Handlung denkt.«
    »Und wer weiß, wann jemand kriminell denkt? Wer kann in das Hirn
anderer schauen?«
    »Der die Volonté générale hört.«
    »Falsch. Psychologen. Cheers!« Adler stieß sein Sektglas gegen das
von Valentina, lachte und trank.
    Der Zuschauerraum verdunkelte sich, auf der Bühne ertönte die
Marseillaise.
    * * *
    Perücke und Kostüm standen ihm gut. Jetzt aber hatte er Mühe,
aus den Katakomben des Theaters wieder in den oberen Rang zu finden. Kein
Wunder, dass so viele Schauspieler ihren Auftritt verpassten. Wie sollte man
sich in diesem Labyrinth auskennen?
    Zwei Kokotten begegneten ihm und lächelten ihm zu. Bestimmt
Statistinnen. So wie die das Dekolleté geschnürt hatten und ihn anlächelten,
als sei er einer der Protagonisten. Er lächelte dünn zurück wie ein
Schauspieler, der sich auf seinen Auftritt konzentriert, aber nicht unhöflich
wirken will. Zum Glück war es ein großes Stück mit vielen Darstellern und
Komparsen. Nicht einmal die Hauptbesetzung würde merken, dass er nicht zum
Ensemble gehörte. Abgesehen davon, dass sich die Hauptbesetzung ohnehin nur um
sich und ihre eigene Wirkung kümmerte, vernichteten auch Perücke und Kostüm
jegliche Individualität.
    In Alberto stieg das Gefühl der Austauschbarkeit auf. So stark hatte
er es noch nie empfunden. Obwohl dieser Gedanke doch stets vor seinem
Mündungsrohr gaukelte. War nicht er es, der den Menschen die Nichtigkeit

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