Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lost Place Vienna (German Edition)

Lost Place Vienna (German Edition)

Titel: Lost Place Vienna (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lost Place Vienna
Vom Netzwerk:
sich kurz verneigte,
um vom Publikum einen Zwischenapplaus abzusahnen. Dann verschwand er stelzend
samt Helfer von der Bühne, und Valentina wunderte sich, warum er nicht auf
einem Besen davonflog, wenn er doch zaubern konnte.
    Jetzt erschienen Damen und Herren in Perücken und Plunder. Sie
lachten, wie man es aus Operetten kannte, und gaben Texte von sich, die wohl
amüsant waren, aber nicht verständlich an Valentinas Ohr drangen.
    »Ich habe es geahnt«, seufzte Adler und ließ sich erschlagen in das
Polster sinken. Er zog ein rotes Büchlein mit dem Konterfei Büchners hervor und
schlug es auf. »Von Suhrkamp«, raunte er Valentina zu. »Die finde ich besser
als Reclam. Da sind auch Anmerkungen drin.«
    Valentina überlegte kurz, ob sie mit ihrer Gesamtausgabe nachlegen
sollte, entschied sich dann aber doch, dem Geschehen auf der Bühne zu folgen.
    * * *
    Alberto war froh, dass er Claudio vor dem Theater gelassen
hatte und selbst hineingegangen war. Hier, im Dunkel des Saals, würde Valentina
ihn bestimmt nicht entdecken. Er stand ganz oben an der Seite des zweiten
Ranges. Zwar hatte es noch vereinzelt Sitzplätze gegeben, aber von dort aus
hätte er keinen Blick in die Loge gehabt, in der Valentina mit dem Spitzel saß.
Wusste der Teufel, warum sich Adler an ihre Fersen geheftet hatte. Und das Hirn
wollte es offenbar erst einmal so weiterlaufen lassen. Vielleicht war Adler ja
auch zu etwas nütze? Alberto konnte es sich zwar nicht vorstellen, nach dem,
was er über ihn gelesen hatte, aber er war auch nicht das Hirn, sondern eine
Fachkraft im Segment Observation und Tötung, obendrein in diesem Fall
verbrannt.
    Es schmerzte ihn, als er wieder daran denken musste. Wenn er nur die
Zeit zurückdrehen könnte. Niemals wäre er in das Taxi gestiegen. Aber die Zeit
konnte noch nicht einmal Il Cervello zurückdrehen.
    Und womöglich hatte auch er schon den einen oder anderen Fehler
begangen. Im Falle Adlers, so glaubte Alberto zu riechen, würde das Hirn einen
Fehler machen, wenn man sich nicht bald ernsthaft um ihn kümmerte. Aber Alberto
würde den Teufel tun, Vorschläge dieser Art zu unterbreiten. Angestellte, die
über ihr Quadrat hinausdachten, waren in der Organisation nicht gern gesehen.
Selbstständige Arbeit war das eine, Grenzüberschreitung das andere. Da waren sie
knallhart. Alberto konnte es verstehen. Wo käme man hin, wenn jeder auf einmal
ein Superhirn wäre?
    Ein Raunen, das vom Parkett nach oben schwappte, ließ ihn wieder auf
die Bühne blicken. Schwälle von Theaterblut spritzten aus zwei
Feuerwehrschläuchen über die Bühne und ergossen sich in die ersten Reihen des
Theaters. Ein Mann mit Jakobinerperücke hatte sich die speienden Schläuche
unter die Arme geklemmt und schrie: »Jawohl, Blutmessias, der opfert und nicht
geopfert wird. – Er hat sie mit seinem Blut erlöst, und ich erlöse sie mit
ihrem eigenen. Er hat sie sündigen gemacht, und ich nehme die Sünde auf mich.
Er hatte die Wollust des Schmerzes und ich die Qual des Henkers.«
    Das Publikum in den vorderen Reihen kreischte und echauffierte sich.
Blutige Frauen verließen mit Männern in roten Anzügen schimpfend das Theater.
Die Zuschauer in den oberen Rängen lachten schadenfroh und forderten eine
Zugabe. Der Blutmessias auf der Bühne richtet die Schläuche nach oben. Helle
Schreie durchfuhren die Ränge.
    * * *
    Valentina erschrak. Robespierre zielte mit den Schläuchen zu ihr
in die Loge.
    »Es war klar, dass das kommen musste«, sagte Adler. »Immerhin ist es
die Führerloge. Wie mich diese plumpen Assoziationen langweilen. Fehlt nur,
dass sie jetzt den Büchner auch noch mit Bernhard-Texten vermischen. Warten Sie
ab, gleich brüllt er: ›Alles Faschisten!‹«
    Valentina wartete, ob Adler recht hatte. Sie fand alles sehr
spannend. Auch Adler. Er war für sie mittlerweile Teil der Inszenierung
geworden. Aber Robespierre skandierte nicht »Alles Faschisten!«, sondern schrie
sich Büchner-Text aus der Seele: »Alle im blutigen Schweiß, aber es erlöst
keiner den andern mit seinen Wunden. – Mein Camille! – Sie gehen alle von mir –
es ist alles wüst und leer – ich bin allein.«
    Das Blut aus den Feuerwehrschläuchen versiegte. Im Publikum
herrschte absolute Stille.
    Valentina war zutiefst ergriffen von der Darbietung des Robespierre.
»Long Train Runnin’« von den Doobie Brothers ertönte und verkürzte den Umbau
vom ersten auf den zweiten Akt.
    Adler lehnte sich zu ihr herüber. »Gethsemane-Garten«, sagte

Weitere Kostenlose Bücher