Lost Place Vienna (German Edition)
ihres
Lebens nahebrachte? Ein Schuss, ein Stich, die Überdrehung des Genicks. Alberto
schob das Gefühl beiseite und drückte eine Feuerschutztür auf, hinter der er
sich Orientierung erhoffte. Tatsächlich, sie führte ins Foyer des ersten Rangs.
Dort hatte er sich mit Claudio verabredet.
Sein Handy brummte. Er ließ die Tür wieder ins Schloss fallen und
kümmerte sich um den Anruf. Es war eine Nachricht von Il Cervello:
»Claudio Ciacci ist im Theater. Eliminieren.«
Alberto erschrak. Wie konnte Il Cervello wissen, dass Claudio
hier war? War das Hirn etwa auch im Theater? Oder hatte Claudio dem Boss
gesteckt, dass Alberto ihn angeheuert hatte, weil er selbst verbrannt war?
Alberto begann unter der Perücke zu schwitzen. Es war nicht die Zeit
zu fragen, sondern zu handeln. Er stieß die Tür wieder auf und lugte vorsichtig
auf den Gang des Foyers. An eine Säule gelehnt, entdeckte er Claudio; neben ihm
stand ein Klarinettenkoffer auf dem Boden.
Alberto winkte ihn zu sich und ging wieder durch die Tür, die in die
Katakomben führte. Claudio folgte ihm.
Alberto ließ ihn an sich vorbeigehen und schloss die Tür hinter
sich. Der kurze Moment genügte ihm, um Claudios Kopf von hinten zu packen und
ihm das Genick zu brechen. Claudio sackte leblos zu Boden. Alberto nahm den
Klarinettenkoffer und verschwand ins Foyer.
Der Schweiß troff ihm unter dem weißen Kunsthaar über Stirn und
Nase. Er wischte ihn mit dem Ärmel weg, stieg die Treppen in den oberen Rang
empor und drückte sich an seinen schlechten Stehplatz. Da hätte er auch zu spät
kommen können. Den hätte ihm keiner genommen. Überhaupt waren Stehplätze nicht
angesagt. Wer wollte schon stehen? Das machte man nur bei Rockkonzerten.
Er öffnete den Klarinettenkoffer und holte die Einzelteile des
Instrumentes aus der dunkelblauen Samtfütterung. Er schraubte sie zusammen,
setzte das Zielfernrohr auf und positionierte das kleine Stativ so an der
Brüstung, dass er aus der Ruhe heraus beobachten und operieren konnte. Er sah
sich nach den anderen Zuschauern um, die in etwa fünf Metern Entfernung ihre
Sitzplätze eingenommen hatten und nur noch Augen für die Bühne hatten. Sie
hatten ihn wahrgenommen, ihn in seinem Kostüm als Teil der Inszenierung
registriert und kurz gewartet, was er wohl vorhabe. Als er sich nicht weiter rührte,
hatten sie ihre Aufmerksamkeit wieder den Protagonisten unten zugewandt.
Alberto sah durch das Fernrohr auf die Bühne und musste grinsen.
Einer der Protagonisten sah ihm tatsächlich ähnlich. »Guten Morgen! Gute Nacht
sollte ich sagen. Ich kann nicht fragen, wie hast du geschlafen. Wie wirst du
schlafen?« Im Publikum lachte man.
Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt gewesen, das Fernrohr herumzuziehen
und Adler auszuknipsen. Aber er musste warten. Noch war die vorgegebene
Textstelle nicht gekommen. Es war eben nichts beliebig. Nicht in einer
Inszenierung, in der Il Cervello Regie führte.
Alberto blieb mit dem Fernrohr auf der Bühne und verfolgte den
Fortgang des Stücks. Durch das Fernglas machte es ihm mehr Freude. Es war
ungleich spannender.
* * *
Valentina blickte wie gebannt auf die Bühne, sie ging in
dem Stück ganz und gar auf. Sie bibberte mit Danton und verfluchte den
selbstgerechten Robespierre und den bleichwangigen Saint-Just. Plötzlich spürte
sie eine Hand auf ihrer. Sie war warm und voller Gefühl. Ihre eigene kam ihr
dagegen wie eingefroren vor. Valentina sah hinüber zu Adler. Er lächelte sie
an, den Blick seiner Augen tief in ihren versenkt.
Ihr Herz begann schneller zu klopfen. Sie fühlte sich mit einem Mal
derart zu ihm hingezogen, dass sie sich am liebsten auf ihn gestürzt hätte, um
ihn zu küssen. Stattdessen drehte sie nur ihre Hand um, sodass sie seine
greifen konnte, und drückte sie. Sie musste ihren Blick abwenden und starrte
auf die Bühne. Das war mehr Vereinigung, als sie je zuvor mit einem Mann in
unzähligen Nächten erlebt hatte. Ihr Mund war trocken, ihr Herz pochte so laut,
dass sie die Texte der Schauspieler nicht mehr hörte. Fast wurde ihr
schwindelig.
»Geht es dir gut?«, fragte Adler.
Valentina wandte sich zu ihm, Tränen standen ihr in den Augen. Wie
war sie doch anfällig, wenn jemand ehrlich besorgt um sie war. Es war nicht
viel. Ein Händedruck, ein warmer Blick, ein besorgtes Wort. Aber in der
Situation, in der sie sich befand, war das wie die dritte Kavallerie, die das
Fort vor den wilden Indianern rettete. Dankbarer war sie für eine Zuwendung
wohl nie
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