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Lost Place Vienna (German Edition)

Lost Place Vienna (German Edition)

Titel: Lost Place Vienna (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lost Place Vienna
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auf dem Absatz kehrt und verschwand.
Valentina ahnte, dass er gleich bei ihr auftauchen würde, und beeilte sich, ins
Foyer zu gelangen. Von der Bühne hörte sie Lucile singen: »Es ist ein
Schnitter, der heißt Tod, hat Gewalt vom höchsten Gott.«
    Sie hastete zur Tür und landete auf dem Gang. Keine fünf Meter
hinter ihr tauchte Parizek auf.
    »Valentina, bleib stehen! Du hast keine Chance!«
    Aber Valentina dachte nicht daran, sich zu ergeben. Selbst wenn man
wusste, dass man in fünf Zügen matt war, schmiss man den König nicht hin. Man
spielte die fünf Züge zu Ende, weil es immer Hoffnung gab, dass der Gegner noch
Fehler machte. Gerade weil er sich seines Sieges so sicher war. Valentina stieß
den Platzanweiser, der vor ihr auftauchte, zur Seite und rannte, was sie
konnte.
    Am anderen Ende tauchten zwei Uniformierte auf. Valentina entschied
sich für die Treppe, die ins Parkett führte. Auch von dort kamen ihr zwei
Uniformierte entgegen. Aber sie hatte die Wucht der von oben Kommenden. Also beschleunigte
sie ihr Tempo und schoss auf die Beamten zu, die sie viel zu spät erkannten.
Valentina flitzte zwischen den beiden Verdutzten durch und stieß sie mit den
Armen zur Seite. Die Männer strauchelten kurz, fingen sich aber sofort und
nahmen die Verfolgung auf.
    Jetzt war sie im unteren Foyer. Sie konnte sich denken, dass die
Ausgänge bereits bewacht wurden, also steuerte sie auf die Feuerschutztür zu,
die zur Hinterbühne führte, und riss sie auf. Nach wenigen Metern stolperte sie
und stürzte. Sie rappelte sich wieder hoch und erkannte den Grund ihres
Stolperns.
    Es war ein regloser Mensch, über den sie gestürzt war. Sie erkannte
sein Gesicht: Vor ihr lag der Mann, der sich als Claudio Ciacci vorgestellt und
behauptet hatte, er sei von der italienischen Polizei. Sie untersuchte ihn
hastig nach einer Pistole und Geld. Er hatte eine Beretta 92  FS und vierhundert Euro bei sich.
    Valentina schnappte sich beides und steckte es ein, dann lief sie
auf dem Gang der Hinterbühne zur anderen Seite des Theaters. Von der Bühne
drang Applaus zu ihr. Die Vorstellung war zu Ende. Es gab viele Bravos, aber
auch einige Buhrufe und Pfiffe. Valentina dachte kurz drüber nach, auf wessen
Seite sie stand, und entschied sich für die Bravos. Auch wenn Adler bestimmt
gebuht hätte.
    Adler! Es versetzte ihr einen Schlag. Adler war tot. Sie musste kurz
innehalten und nach Luft schnappen. Sie hatte es noch gar nicht registriert. Es
war alles so schnell gegangen. Nicht einmal einen Schuss hatte sie gehört. Nur
sein letzter Händedruck, das leblose Gesicht und das blutverschmierte Hemd
waren ihr in Erinnerung. Und dann Parizek, der plötzlich in der Loge stand.
    »Es ist ein Schnitter, der heißt Tod, hat Gewalt vom höchsten Gott«,
kam ihr die Zeile von Luciles letztem Lied in den Sinn. Sie wurde zum quälenden
Ohrwurm, und Valentina wusste im Moment nicht, ob er sie anspornen oder
zerbrechen würde. Sie wiederholte die Zeile nur immer wieder, während sie den
Gang entlanglief.
    Unzählige Schauspieler kamen ihr entgegen, die auf dem Weg in die
Garderoben waren. Keiner achtete auf sie, alle waren mit sich selbst und dem
Verlauf der Vorstellung beschäftigt. Valentina hängte sich an einige Komparsen
und folgte ihnen. Vielleicht gab es eine Möglichkeit, mit ihnen im Pulk aus dem
Bühnenausgang zu gelangen.
    Doch kaum waren sie im Treppenaufgang, der zu den
Statistengarderoben im dritten Stock führte, tauchten zwei Polizisten auf.
Valentina würde ihnen sofort auffallen; sie war die Einzige, die nicht in der
Kluft des 18. Jahrhunderts kostümiert war. Also drehte sie ab und
verschwand wieder in den Bühnenbereich.
    Die Bühnenarbeiter begannen bereits, die Szenerie abzubauen. Einige
fuhren mit Staplern umher, andere standen auf Leitern und zerlegten die riesige
Guillotine. Morgen stand ein anderes Stück auf dem Spielplan. Nichts hatte
Bestand, alles war nur Illusion. Der Blick hinter die Kulissen war immer
ernüchternd. Valentina fragte sich, warum sie sich ausgerechnet den Beruf des
Polizisten gewählt hatte, in dem es galt, täglich die Masken der Gaukelei zu
durchbrechen und auf den nackten Knochen zu zeigen.
    Valentina kam nicht weiter in ihrem Gedankenspiel, denn ein schwerer
Gegenstand traf sie am Hinterkopf. Die Bühne verschwamm zu einem schwarzen
Loch, in das sie tief stürzte.
    * * *
    Parizek kaute an einer nicht angezündeten Zigarette. Die
Feuermelder würden ihm gerade noch fehlen. Das Theater glich jetzt

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