Lost Place Vienna (German Edition)
sie
zu vernehmen. Er würde es sich auch nicht nehmen lassen, sie in den engeren
Kreis der Verdächtigen mit einzubeziehen. Allein um sie leiden zu sehen. Für
ihn wäre es objektive kriminalistische Arbeit, Valentina wusste aber, dass es
sich dabei nur um sadistische Genugtuung handelte.
Parizek war kein schlechter Polizist, aber er kompensierte seine
Minderwertigkeitskomplexe mit Machoallüren, wo er nur konnte. Die Uhr am Gelenk
konnte nicht protzig genug sein, seine Frau hatte Titten aus Silikon, und
irgendwie war es ihm sogar gelungen, in Hietzing eine Jahrhundertwendevilla zu
ergattern. Wie er das alles mit seinem mageren Gehalt bezahlte, war Valentina
ein Rätsel, aber das schien niemanden zu kümmern. Das sei Privatsache, hatte
Zirner einmal gesagt, als Valentina Parizek unter schwerem Korruptionsverdacht
hatte, und wenn, dann ein Fall der Dienstaufsicht und nicht der Kollegen
derselben Einheit. Valentina hatte sich damals heftig mit Zirner gestritten.
Sie verabscheute diese Art von Ehrenkodex, weil er verlogen war und nur
kaschierte, wo es faulte.
Jetzt hätte sie gerne wieder mit Zirner gestritten. Aber Zirner war
tot, sie war ganz allein – wieder einmal. Warum mussten ihre Mentoren immer
sterben? Warum hatte sie stets alles allein auszufechten?
Sie starrte auf die Kladde, schob Zirners Foto zur Seite und begann,
sich die Unterlagen anzusehen. Ihr fiel die Kinnlade hinunter, als sie
erkannte, worum es sich handelte: Dossiers über die drei ermordeten Frauen.
Sie überflog die Zeilen und packte einzelne Happen gleichzeitig, wie
sie es beim Speedreading gelernt hatte. Die Daten stimmten mit denen überein,
die sie von Burak bekommen hatte. Nur dass hier nicht erwähnt wurde, dass alle
drei Frauen mit der sizilianischen Mafia in Verbindung gestanden waren.
Gloria Burkhardt, das letzte Opfer, kam ursprünglich aus Deutschland
und hatte in Wien am medizinischen Institut Tierversuche überwacht.
Industriespionage lag hier für die Kollegen nah. In Buraks Dossier aber war
obendrein zu lesen gewesen, dass Burkhardt in Palermo Medizin studiert hatte
und in einen Prozess verwickelt gewesen war, in dem es um die Herstellung
synthetischer Drogen ging. Sie war in Italien freigesprochen worden und dann
für zwei Jahre in Marokko untergetaucht, ehe sie die Stelle in Wien antrat.
Nadja Tschechow war Offizierin der russischen Armee und seit einem
Jahr in der russischen Botschaft für diplomatische Dienste tätig gewesen. Auch
hier konnte man sich rasch zusammenreimen, dass der geschützte Raum der
Botschaft für operative Zwecke genutzt worden war. Aber auch hier wusste Buraks
Datenbank mehr. Tschechow war fünf Jahre mit Enzo Bugati verheiratet gewesen,
der als ernst zu nehmender Zögling Provenzanos gegolten hatte. Bugati hatte
sich aber zu weit aus dem Fenster gelehnt, und jemand hatte ihn dann auch aus
dem zehnten Stock geworfen. Tschechow war über Oligarchenverbindungen nach
Moskau geflohen, um in Staatsdienste zu treten.
Die Tirolerin Eva Knittel war Extremkletterin, die einen
Outdoorladen in der Josefstadt betrieben hatte. Hier hatten die Kollegen keine
direkte Linie zur Spionage gefunden. Dafür wusste aber auch Buraks Papier in
diesem Fall mehr. Knittel hatte für die nördliche Sektion der Mafia operiert.
Von Tirol aus über Bozen bis hin ins Veneto. Sie war für den Kauf von Industriemüll
zuständig gewesen, der in ehemaligen Erzbergwerken der Alpen oder in
Gletscherspalten endgelagert werden sollte. Ein Riesenunterfangen und ein
Millionengeschäft.
Warum stand in dieser Kladde nichts von dem Mafiabezug? Hatte Zirner
ihn ausradiert? Warum? War ihr der Fall nicht gerade deswegen entzogen worden,
weil Bezug zur Mafia bestand? Hatte Zirner die Informationen verheimlichen
wollen, die dann doch durchgesickert waren? Hatte er deswegen sterben müssen?
Valentina konnte ihn nicht mehr fragen. An seinem Apparat nahm nur
noch Parizek ab.
Und Parizek war es gewesen, der bei Burak aufgekreuzt war, um dessen
Rechner zu kassieren. Vielleicht steckte Parizek hinter dem Mord an Zirner? Und
wenn er da mit drinhing, wer außer ihm noch? Bauer? Oder noch höhere Tiere?
Sie würde ihren Urlaub nutzen, um auf sich allein gestellt in dieser
Sache zu ermitteln. Es ging jetzt nicht mehr nur um die drei Frauen, sondern
auch um Zirner.
Valentina begann zu schluchzen. Gerne hätte sie jetzt eine männliche
Brust gehabt, an der sie sich ausweinen konnte. Aber die war fern, immer fern
gewesen. Sie hatte sich nie bei einem
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