Lost Place Vienna (German Edition)
von
höherer Stelle weiterbearbeitet wurde.
Wer war hinter dem Spiegelglas des Verhörraums gestanden? Bauer ganz
sicherlich. Aber wer noch? Wenn es nur Bauer gewesen wäre, dann hätte man sich
den Spiegel auch schenken können. Leute vom Innenministerium? Politiker?
Valentina war während ihres Gedankenspiels fortwährend im Kreis
gegangen. Jetzt blieb sie stehen, da die Zellentür geöffnet wurde. Zwei
Beamtinnen traten in die Zelle.
»Wohin geht’s?«
»Wieder zum Verhör. Kommissar Parizek hat noch ein paar Fragen an
Sie.«
»Das kostet aber extra. Ich bin in der Gewerkschaft, da gibt es
Ruhezeitverkürzung.«
Bei einer der Uniformierten verursachte der Gag wenigstens ein vages
Lächeln, an der Wortführenden prallte er kommentarlos ab.
Valentina folgte den beiden Beamtinnen. Immerhin legten sie ihr
keine Handschellen an. Das hätte sie auch zu albern gefunden. Gleichzeitig
steigerte es in ihr den Wunsch, abzuhauen. Sie wusste, was das bedeuten würde.
Eine Verdächtige auf der Flucht schrieb sich nie ein gutes Zeugnis. Wer floh,
gestand ein, so die Regel. Aber was blieb ihr anderes übrig? Parizek wusste,
dass sie Luft brauchte, deswegen hatte er sie erst einmal für ein paar Stunden
in die Zelle gesteckt. Es sollte eine Drohung sein. Aber weshalb? Sollte sie
einen Mord gestehen, den sie nicht begangen hatte? Oder hatte er es darauf
angelegt, dass sie floh? Hatte man ihr deswegen keine Handschellen angelegt?
Wollte man sie gar auf der Flucht erschießen?
Sie blickte die beiden Bewacherinnen aus den Augenwinkeln an,
während sie den gepflasterten Weg zum Tor gingen. Das Auto, auf das sie
zusteuerten, stand im Hof des Untersuchungsgefängnisses. Wenn sie fliehen
wollte, müsste der Wagen außerhalb des Geländes stehen. Sie hatte keine Chance.
Aber es brannte in ihr, einfach zu laufen. Allein der Gedanke ans
Eingesperrtsein setzte sie unter eine solche Anspannung, dass sie gleich zu
bersten drohte.
Sie erreichten das Polizeiauto, und Valentina stieg mit einer der
Beamtinnen hinten ein, während die andere sich hinters Steuer klemmte.
Die Chance war vertan. Während die Beamtin vorne den Wagen startete,
wandte sich die andere zu Valentina.
»Glauben Sie mir, es macht uns auch keinen Spaß, eine Kollegin in
Gewahrsam zu nehmen«, sagte sie.
Der Wagen fuhr aus dem Tor und musste scharf bremsen. »Mann, passen
Sie auf, wo Sie hinfahren!«, schrie die Polizistin am Steuer den vollbärtigen
Radfahrer an, der ihr halb über der Motorhaube hing.
Valentina nutzte den Augenblick und sprang aus dem Wagen. Sie drehte
sich nicht um, sondern lief, was ihre Beine hergaben, die Straße hinunter.
Hinter sich hörte sie eine Polizeisirene plärren. Valentina rannte und rannte.
Aber sie wusste nicht, wohin.
Nach Hause konnte sie nicht. Noch nicht einmal um ein paar
Habseligkeiten zusammenzuraffen. Zirner war der Einzige gewesen, zu dem sie
hätte gehen können. Aber Zirner war tot, und man unterstellte ihr, den Mord an
ihm in Auftrag gegeben zu haben. Es war absurd. Valentina, die Jägerin, war mit
einem Mal die Gejagte.
Sie hatte nur eine Möglichkeit, ihre Unschuld zu beweisen: Sie
musste den Mörder der drei Frauen und Zirners finden. Über ihn würde sie zur
Wahrheit gelangen.
Vielleicht hatte Zirner sterben müssen, weil er mehr wusste, als in
der Kladde zu lesen war. Möglicherweise würde Valentina bei ihm zu Hause
Informationen finden, die sie weiterbrachten. Sie musste zu seiner Wohnung
gelangen, ehe Parizek dort auftauchte. Erst einmal würde er ihre eigene Wohnung
observieren lassen. Davon ging Valentina zumindest aus. Wenn er clever war,
setzte er auch sofort Leute auf Zirners Bude an.
Valentina schnaufte durch und setzte sich auf einen der Metallsessel
vor der Karlskirche. Flankiert von amerikanischen Touristen fiel sie nicht auf.
Vier uniformierte Polizisten schlenderten am Brunnen vorbei. Sie trugen
Barette. Ein Einsatzkommando. Vielleicht waren sie Dealern auf der Spur. Sie
kümmerten sich jedenfalls nicht um Valentina. Ein Rumäne spielte Akkordeon und
sammelte Münzen in einem Pappbecher.
Valentina fragte sich, wie die Kollegen den Fall handhaben würden.
Eine Großfahndung würden sie wohl nicht wagen. Wie würden sie es nach außen
darstellen? Konnten sie es sich leisten, die Polizistin, die vor zwei Tagen
noch als glaubwürdige Ermittlerin im Fernsehen zu sehen gewesen war, als
Mordverdächtige hinzustellen? Das würde mehr Staub aufwirbeln, als Bauer und
den Dunkelmännern recht wäre. Nein,
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