Lost Place Vienna (German Edition)
waren,
die sich bei ihr zu schaffen machten. Ein finsteres Gesicht blickte von oben
über das Geländer herab. Valentina erkannte es sofort. Es war Parizek. Auch er
schien sie zu erkennen, denn er grinste dreckig und griff nach seinem Handy.
Valentina rannte in den Fahrradkeller und schnappte sich ihr Brodie.
Hastig schob sie es durch den Hausflur, vorbei an Haspel, der neben die
Briefkästen gelehnt den Kopf hängen ließ und seine Hände in den Taschen des
Trenchcoats vergrub. Von oben näherten sich eilig Schritte.
»Wenn Sie etwas gutmachen wollen, halten Sie den Typen für einen
Moment auf, ja?«
Valentina verschwand mit ihrem Fahrrad aus dem Flur.
Kaum erreichte sie die Straße, sprang ein Wagen an. Valentina
blickte in die Richtung des Geräusches und erkannte, dass es der dritte Wagen
war, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite geparkt hatte. Sie hatte
vergessen, ihn zu überprüfen, weil sie sich dafür entschieden hatte, mit Haspel
ins Haus zu gelangen. Sie musste schnell handeln. Haspel würde Parizek nicht
lange aufhalten können. Der Fahrer aber würde vielleicht auf Parizek warten.
Sie wagte es, den Berg hinabzufahren, obwohl das Auto ihr mit Leichtigkeit
folgen konnte. Sie hoffte auf die Ampel, die den Rennweg kreuzte.
Die Ampel blinkte bereits orange. Valentina rauschte bei Rot über
die Kreuzung, dann schoss sie die Ungargasse hinab in Richtung Stadtpark.
* * *
Alberto hatte sich noch Zigaretten an der Tankstelle geholt,
damit das Warten nicht zu lang wurde. Nikotin war die einzige Droge, von der er
abhängig war. Und er war froh darum. Viele seiner alten Freunde waren Härterem
verfallen. Manche waren schon als Jugendliche süchtig geworden, die anderen
ertrugen diese Arbeit nur, wenn sie sich mit Drogen vollpumpten. Alberto
brauchte das alles nicht. Er hatte seinen Kodex, und an den glaubte er. Er
glaubte an die Sache, an die Familie und an den Krieg, in dem er kämpfte. Er
musste ihn nicht verstehen. Verstand einer Gott? Und an ihn glaubten die
Menschen schließlich auch.
Er blickte auf seine Schweizer Armeeuhr. Zwar vermutete er nicht,
dass Valentina mit der Straßenbahn käme, aber er behielt die Haltestation
dennoch im Blick. Von Parizek hatte er nichts mehr gehört, also lief alles nach
Plan. Alberto war froh, dass er Valentina erst einmal nur beschatten sollte.
Die Kleine gefiel ihm. Sie war eine von ihnen, sie wusste es nur noch nicht.
Aber tief in ihrem Herzen würde sie es bereits ahnen. Man musste nur die
richtige Tür öffnen. Zuerst musste man ihr den bisherigen Glauben nehmen, dann
wäre Platz für einen anderen. Und sie würde glauben, da war sich Alberto
sicher. So wie sie jetzt an die falsche Sache glaubte, würde sie später an die
Cosa Nostra glauben. Und deswegen war sie wohl auch so wichtig. Typen wie Bauer
und Parizek fand man hinter jedem Aktenordner. Die glaubten weder an das eine
noch an das andere. Die tanzten nur um das Goldene Kalb und waren austauschbar.
Valentina dagegen würde eine Heimat finden, für die es sich zu
kämpfen und zu sterben lohnte, so wie er selbst. Vielleicht war es nur ein
Credo, das er sich selbst einredete. Aber er musste Valentina kostbar machen,
damit er richtig auf sie achtete. Noch einen Fehler durfte er sich nicht
erlauben. Vor Parizek hatte er keine Angst. Der glaubte nur, dass er ihm
Anweisungen geben durfte, aber die eigentlichen Befehle kamen von woanders. Und
wenn man die missachtete, konnte man sich gleich selbst mit den Füßen in zwei
Betoneimer stellen und damit in die Donau springen. Er spürte das Gewicht
bereits an seinen Sohlen.
Ein halogenes Fahrradlicht blinkte durch die Nacht. Die Gestalt, die
sich auf dem Fahrrad abzeichnete, war Alberto bekannt. Es bestand kein Zweifel,
sie war es.
* * *
Valentina war über Umwegen in die Porzellangasse gefahren,
hatte dort ihre Kleidung gewechselt, sich den Rucksack samt GPS geschnappt und war dann erst in die Brünner Straße
geradelt. Eigentlich hatte sie bis zum Morgen damit warten wollen, aber sie
hatte keine Ruhe gefunden. Ihr Adrenalinspiegel war dermaßen in die Höhe
gepumpt, dass sie kein Auge zugemacht hätte.
Jetzt war sie sich nicht mehr so sicher, ob es eine kluge
Entscheidung gewesen war, bei Nacht hierherzukommen. Der Ort war schon bei Tag
kein gemütliches Plätzchen, an dem man gerne verweilte; und bei Nacht überfiel
einen nur noch ein einziger Gedanke: Reißaus nehmen! Doch anstatt sofort
weiterzufahren, stieg Valentina vom Rad, lehnte es an die
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