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Lost Place Vienna (German Edition)

Lost Place Vienna (German Edition)

Titel: Lost Place Vienna (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lost Place Vienna
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Hundefutter nach unten und ließ Valentina passieren.
    »Haben Sie einen Hund?«, fragte er in ihren Rücken.
    Valentina hatte gehofft, dass sie vielleicht so an ihm vorbeikäme.
Sie wollte nicht, dass er in ihr die Person erkannte, die sich zuvor als
Prospektverteilerin ausgegeben hatte. Hätte sie wenigstens Kopfhörer aufgehabt,
dann hätte sie so tun können, als hörte sie ihn nicht. So aber drehte sie sich
zu ihm um.
    »Nein«, sagte sie kurz und wollte weiter, aber der traurige Blick
des Mannes hielt sie zurück.
    »Meiner ist tot. Der Ferdl, vielleicht haben S’ ihn gekannt?«
    »Das tut mir leid. Nein, ich habe ihn nicht gekannt. Ich bin hier
neu eingezogen.«
    »Na ja, einer geht, der andere kommt, so ist das Leben, nicht? Was
mach ich jetzt mit all dem Hundefutter? Ich hab immer gleich für zwei Monate
gekauft, wissen Sie, und jetzt ist erst Ende Oktober. Was mach ich mit dem
Novemberfutter? Ich kann es doch nicht selber essen. Lachen Sie nicht, ich
kenne Leute, die ernähren sich davon. Ich nicht, ich habe Glück mit meiner
Pension. Obwohl ich es gerne rieche. Und der Ferdl hat es geliebt. Es gibt ja
die unterschiedlichsten Menüs, nicht. Manche füttern ihren Tieren immer
denselben Fraß, als ob sie nichts schmecken würden. Aber diese Leute verstehen
nichts vom Leben, von der Lebensart. Weiß einer, warum sie überhaupt ein Tier
in die Verantwortung kriegen. Man müsste sich vorher qualifizieren müssen, mit
einem Test. Wie ein Anglerschein oder ein Einbürgerungstest. Aber Anglerschein
wäre besser. Beim Einbürgerungstest kommen noch zu viele durch. Verstehen Sie
mich nicht falsch, ich habe nichts gegen Ausländer. Der Ferdl kam auch aus
Paris. Ja, ein echter französischer Pudel war er, mit lupenreinem Stammbaum.
Wie gesagt, nichts gegen Ausländer –«
    »Tut mir leid, ich muss los«, sagte Valentina und lief die Treppen
hinunter.
    Sie roch es förmlich. Die goldenen Tage des Oktobers waren
vorbei. Schon kroch der Nebel durch die Gassen, wand sich an den schwarzen
Stämmen der Linden empor und versteckte sich im gelb gefärbten Laub, das im
warmen Licht der Straßenlaternen dem Auge schmeichelte. Sie lief von Anfang an
schnell, wollte rasch warm werden und die Feuchtigkeit des Nebels bannen. Wenn
man ihn nicht ernst nahm, ließ er sich nämlich aus den Bäumen auf einen
hinabfallen und suchte sich unverschlossene Öffnungen der Seele. War man
dagegen nicht gewappnet, bekam man im besten Fall nur einen Schnupfen,
abgesehen hatte es der Nebel aber auf eine handfeste Depression. Dazu würde er
sich dann ein paar Wochen später mit dem Novemberniesel verbinden.
    Aber Valentina war gewappnet. Sie durfte weder dem Nebel noch
Parizek eine Chance lassen, sie auf den Boden zu drücken. Sie lief den Ring
entlang. Das war der bequemste Weg. Der Volksgarten war noch geöffnet. Sie entschied
sich, ihn zu passieren, obwohl es ein kleiner Umweg war. Sie liebte die Rosen
dort, und sie wusste, dass man sie bald mit Jutesäcken abdecken würde, um sie
vor dem frostigen Winter zu schützen. Die Hochstammrosen erinnerten Valentina
dann immer an Todeskandidaten, denen man kurz vor der Vollstreckung durch den
Henker die Kapuze übergezogen hatte.
    Jetzt aber reckten sie ihre Köpfe noch in den feuchten Nachthimmel.
Die Laternen verfälschten ihre eigentlichen Farbtöne. Valentina hielt kurz an
einer gelben Rose an und roch an der einzigen Blüte, die der Stamm noch
feilbot. Es war ihre Lieblingsrose; sie wusste, dass sie »Peer Gynt« hieß.
Valentina mochte den großen Geschichtenerzähler aus Ibsens Drama, der immer
größer sein wollte, als ihm zustand. Aber für ihn waren seine Geschichten wahr
gewesen, er hatte sie gesehen und dadurch gelebt. Dass andere ihn für einen
Träumer und Scharlatan hielten, das war doch nicht seine Schuld?
    Valentina fühlte sich Peer Gynt nahe, wie sie sich allen Abenteurern
und Geschichtenerzählern nahe fühlte. Sie kannte die Weltliteratur und liebte
die Helden.
    Sie lief so, wie sie auch mit dem Fahrrad gefahren wäre, und achtete
dabei darauf, nicht der Gewohnheit entsprechend auf dem Radweg zu rennen. Bei
der Oper bog sie in Richtung Karlsplatz ab, nahm dann die Argentinierstraße
hoch am ORF vorbei, wo ihr Debakel begonnen
hatte. Aber es hatte nicht hier begonnen, sondern schon viel früher. Die
Pressekonferenz hatte den Stein nur ins Rollen gebracht. Bereits der erste Mord
musste ein Baustein gewesen sein.
    War es nicht Bauer gewesen, der ihr den Fall zugewiesen

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