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Lost Place Vienna (German Edition)

Lost Place Vienna (German Edition)

Titel: Lost Place Vienna (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lost Place Vienna
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winzige Prise
in die Knödel, der hat gar nichts gemerkt. Nach sechs Monaten war sie ihn los.
Gesoffen hat er, aber wer säuft nicht. Bei so einer Frau tät ich auch saufen.
Der Arzt hat attestiert, dass er vom Schnaps gestorben sei, aber ich weiß es
besser. Wir sind alle kleine Mörder, nicht? Früher hat es den Krieg gegeben, da
war es offensichtlich, da durfte man den Mörder in sich ausleben. Heute ist das
nicht mehr so einfach. Aber der Mensch ist nicht besser geworden, nur weil es
jetzt Frieden heißt. Da haben die es in den Kriegsgebieten einfacher. Sie
können sagen, es ist Krieg, und schießen drauflos.«
    Valentina wollte an ihm vorbei, aber der Stiegenhausphilosoph
versperrte ihr weiter den Weg.
    »Ich bin auch ein Mörder, und das wissen Sie. Ich habe meinen Ferdl
in den Tod getrieben. Weil er mich tyrannisiert hat. Sie wissen ja gar nicht,
wie Tiere einen tyrannisieren können! Da ist man entweder Herr oder Knecht. Und
ich war sein Knecht. Freundschaft gibt es da nicht. Wie bei den Menschen,
verstehen Sie …?«
    Valentina schob ihn energisch zur Seite und lief die Treppen nach
oben.
    »Sie brauchen keine Angst zu haben. Ich werde die Polizei nicht
rufen. Ich verrate Sie nicht. Aber bitte, ziehen Sie nicht aus. Es gibt so
wenige, mit denen man reden kann«, rief er ihr hinterher.
    Nicola war nicht in der Wohnung. Valentina wusste nicht, ob sie
darüber froh sein sollte. Vielleicht wusste auch Nicola bereits, dass sie wegen
zweifachen Mordes von der Polizei gesucht wurde. Adler hatte sie möglicherweise
angerufen, um sie zu warnen. Sie schnappte sich den Rucksack, stopfte frische
Unterwäsche und eine Bluse aus Nicolas Kleiderschrank hinein, plünderte den
Kühlschrank und verließ die Wohnung wieder.
    Am unteren Treppenabsatz kauerte der einsame Philosoph und zählte
die Stufen, bis Valentina bei ihm war. Dann sprang er auf.
    »Nehmen Sie mich mit. Ich werde Ihr Diener sein«, rief er und
spuckte Valentina dabei vor Überschwang ins Gesicht. Sein Speichel roch nach
Schnaps. Valentina wischte ihn angeekelt mit dem Unterarm weg. Aber es schien
ihr, als hätte er sich wie Säure in ihre Wange gefressen. Sie drückte den Mann
zur Seite und ging schnellen Schrittes an den Briefkästen vorbei.
    »Es gibt Post für Sie«, rief er hinter ihr her. »Für Valentina
Fleischhacker. Der Postbote wusste nicht, dass Sie hier wohnen. Aber ich habe
es ihm gesagt. Es war ein Glück, dass ich zufällig am Postkasten war.«
    Valentina erstarrte. Dann drehte sie sich um und ging an den
Briefkasten von Nicola.
    »Nein, nein. Da drin ist er nicht. Ich habe ihn an mich genommen.
Weil ich nicht wusste, ob Sie einen Postkastenschlüssel haben.« Er winkte mit
einem Umschlag und lächelte. »Sehen Sie, ich bin zu gebrauchen.«
    Valentina ging auf ihn zu und wollte ihm den Brief aus der Hand
nehmen. Doch er zog flink die Finger zurück und ließ den Umschlag in seinem
speckigen Jackett verschwinden.
    »Nehmen Sie mich mit?«
    Valentina starrte ihn entgeistert an: »Wohin sollte ich Sie denn
mitnehmen?«
    »Zur Mandelblüte nach Sizilien. Im Februar, wenn dort die Mandeln
blühen, ist es hier immer so garstig. Ich vertrage den langen Winter in Wien
nicht mehr. Da sehnt man sich eben in die Ferne.«
    »Und wie kommen Sie ausgerechnet auf Sizilien?«, fragte Valentina.
    Er wedelte mit dem Umschlag. »Verzeihung, ich habe hineingesehen.
Wenn man selbst keine Post mehr kriegt, freut man sich über die der anderen. Er
ist aber sauber wieder zugeklebt, man merkt nichts.« Er kicherte. »Jahrelange
Erfahrung im Öffnen und Versiegeln, obwohl ich kein Postler bin. Da sehen Sie,
was die Einsamkeit aus einem macht. Schauen Sie bloß, dass Sie nicht in die
gleiche Falle tappen. Kümmern Sie sich rechtzeitig um Familie, um richtige
Familie, Sie verstehen?«
    Er neigte wieder den Kopf, dann warf er Valentina den Brief zu und
wandte sich ab. Langsam stieg er die Treppe empor. Valentina sah ihm nach. Ehe
er um die Biegung verschwand, drehte er sich noch einmal zu ihr um.
    »Schicken Sie mir eine Postkarte? Von der Mandelblüte? Sie wissen
gar nicht, wie sehr Sie mich damit beglücken würden.« Er lachte und machte sich
geduldig an seinen Aufstieg.
    Valentina blickte auf den Brief, verzichtete aber darauf, ihn gleich
zu öffnen. Sie musste von hier verschwinden.
    * * *
    Es dämmerte bereits. Alberto saß auf dem Rücksitz des Volvos,
mit dem sie das Mädchen entführt hatten. Den Fahrer und den anderen Helfer
hatte er nach Hause geschickt,

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