Lost Place Vienna (German Edition)
Schwierigkeiten machen. Aber Il Cervello würde schon
wissen, was er tat.
* * *
»Scheint ein längeres Gespräch zu sein«, sagte Adler, der sich
bereits für Pasta entschieden hatte.
»Ich sehe mal nach und frage, ob wir für sie mitbestellen sollen.«
Valentina stand auf und ging nach draußen. Von Nicola war nichts zu
sehen. Sie lief ein paar Schritte bis zur Ecke und sah sich dort um, aber auch
hier war Nicola nicht zu finden. Vielleicht war der Anruf ein Notfall gewesen,
und sie hatte schnell gehen müssen?
Valentina knurrte der Magen. Sie kehrte in die Trattoria zurück, wo
Adler bereits einen piemontesischen Rotwein und stilles Wasser geordert hatte.
Er blickte sie fragend an.
»Sie ist weg. War wohl was Dringendes«, sagte Valentina.
»Merkwürdig. Sie ist nicht der Typ, der sich aus dem Staub macht,
ohne sich zu verabschieden«, sagte Adler.
»Stimmt. Ich hätte sie auch nicht so eingeschätzt.«
»Aber sie ist gerade sehr durcheinander. Wir hatten eine Sitzung,
als Sie in die Wohnung kamen.«
»Tut mir leid, ich wollte nicht stören.«
»Nein, nein, Sie störten nicht. Wir waren schon fertig. Aber in
ihrem Zustand verliert man schon mal Grundsätze.«
»Wie meinen Sie das?«
»Das Über-Ich des Elternhauses ist stark ausgeprägt, die Konvention
diktiert Nicolas Handeln. Tief drinnen aber tobt das Es, ein brodelnder
Sexualtrieb. Das zerreißt sie. Hinzu kommt noch die Geschichte mit Stefan
Gruber; da muss man sich erst einmal wieder sortieren.«
Valentina nickte, sie glaubte Adlers Analyse zu verstehen.
»Machen Sie das öfter?«, fragte sie.
»Was meinen Sie?«
»Kümmern Sie sich häufiger um Studenten auf therapeutischer Ebene?
Das ist doch nicht üblich, oder?«
»Nichts von meinem Unterricht ist üblich«, sagte Adler, und sein
Blick verlor sich kurz. »Deswegen habe ich so viel zu tun.«
»Kann man sich da Familie erlauben?«
»Noch nicht einmal eine Beziehung.« Er lachte, und Valentina glaubte
den Anflug einer Doppeldeutigkeit in seinen hellbraunen, fast bernsteinfarbenen
Augen zu entdecken.
»Und wie steht’s mit Ihnen und Ihrer Arbeit? Haben Sie Zeit für
Beziehungen?«
Valentina errötete. Sie war froh, dass die Kellnerin an den Tisch
kam, um die Bestellung aufzunehmen.
»Ich nehme die Carbonara. Danke«, sagte Valentina.
»Anche per me. E una insalata mista, grazie« ,
orderte Adler.
»Sie sprechen wirklich gut.«
»Man tut, was man kann. Wie gesagt, ich habe viel zu tun. Meinen
Hauptlehrstuhl habe ich an der Universität in Bologna.«
»Machen Sie dort auch Geocaching?«
»Dort habe ich damit begonnen. Mittlerweile ist es richtig in Mode
gekommen. Es gibt kaum eine Universität, an der ich nicht zumindest einen
Vortrag darüber halten soll. Aber jetzt zu Ihnen. Sie sehen mir nicht aus wie
jemand, der sich einfach in Urlaub schicken lässt, wenn er gerade an einem Fall
arbeitet. Obendrein, wenn er so spektakulär ist. Ich könnte mir vorstellen,
dass Sie heimlich weiterermitteln. Na, habe ich ins Schwarze getroffen?«
Valentina zögerte und schätzte Adler ab. Das Lächeln seiner
glänzenden Augen überzeugte sie. Sie konnte ihm vertrauen.
Die Kellnerin brachte das Essen und zog sich mit einem »Buon appetito« zurück.
Valentina würzte mit Parmesan und wollte schon loslegen, da hielt
Adler ihr das Rotweinglas entgegen.
»Oh, Entschuldigung, aber ich habe so einen tierischen Hunger.« Sie
lachte. Und ihr Lachen war lange nicht mehr so befreit gewesen. Tatsächlich
musste sie tief in ihrer Erinnerung kramen, um ein ähnliches Glucksen
aufzuspüren. Sie nahm ihr Glas und stieß mit Adler an.
»Martin«, sagte Adler.
»Valentina.«
Sie tranken beide einen kräftigen Schluck, dann widmeten sie sich
der Pasta.
»Sagt dir der Name ›Il Cervello‹ etwas?«, fragte Valentina
unvermittelt, nachdem sie den ersten Bissen verschlungen hatte. Das Eis war
gebrochen, sie hatte Martin Adler zu ihrem Verbündeten erkoren.
»Il Cervello? Die Comicfigur?«
»Comicfigur?«
»Ja. Seit knapp zwei Jahren gibt es einen Comic in Italien, der
heißt ›Il Cervello‹. Ziemlich düsterer Trash, es geht darin um die Mafia,
Weltverschwörung und dergleichen.«
»Das wusste ich nicht. Ich kenne nur ›Dylan Dog‹. Wer gibt den Comic
heraus?«
»Edizione Avanti. Sie hatten schon mehrmals Ärger mit der Mafia,
heißt es, weil sie die Typen völlig überzeichnen und bloßstellen. Der Comic ist
sehr satirisch und nimmt Personen aus Politik und Wirtschaft aufs Korn. Eines
der
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