Lost Place Vienna (German Edition)
Handy brummte in Albertos Manteltasche. Ein Blick auf das
Display verriet ihm, dass es Parizek war. Alberto ließ es brummen. Er hatte
keine Lust auf den Gockel. Parizek glaubte, dass er ihm Befehle erteilen könne,
das war einfach lächerlich. Alberto hatte nur Il Cervello zu gehorchen,
allen anderen gegenüber war er ein freier Mann. Es war lediglich Teil der
Strategie, dass er bei Parizek auf Untertan machte. Sie brauchten die
Doppelzange, um Valentina weichzukochen, mehr nicht. Parizek würde irgendwann auch
an die Reihe kommen, das war unausweichlich. Er war eine klassische
Übergangslösung, mit einem Verfallsdatum wie frische Kuhmilch. Und wenn es nach
Alberto ginge, dann war Parizek längst sauer und geronnen.
Er wusste, dass auch er an Fäden hing, die jederzeit gekappt werden
konnten. Aber es gab eine Puppenhierarchie, und in dieser sah er sich eindeutig
über Parizek.
Das Brummen verstummte, und Alberto konnte sich wieder auf seine
Aufgabe konzentrieren. Er überlegte, wie lange Valentina wohl dort oben auf dem
Gerüst schlafen würde. Auch er war müde geworden und sah sich nach einem
passenden Platz für ein kleines Nickerchen um. Eine Parkbank, die von zwei
Kastanien überdacht war, schien ihm angemessen. Er brauchte sich nicht
hinzulegen, er konnte in jeder Körperhaltung in Schlaf fallen.
Er stellte den Kragen seines Mantels auf und drückte sich an die
rechte Lehne der Bank. Dann schloss er die Augen und programmierte seinen
Schlummer auf zwei Stunden. Valentina würde es zwar gewiss nicht wagen, vor
Anbruch des Tages ihr Biwak zu verlassen, aber Alberto wollte sichergehen, dass
er sie nicht verlor. Außerdem waren sie sicherlich nicht die Einzigen, die sich
den Volksgarten als Nachtlager wählten. Die Stadt war voll von Obdachlosen und
Streunern.
Alberto wollte an so etwas nicht denken und schraubte seine
Schlafprogrammierung auf eine Stunde herunter. Sicher war sicher.
SIEBEN
Durch die Jutesäcke kam allmählich die Feuchtigkeit
gekrochen. Es dämmerte, und Valentina krümmte ihren schläfrigen und fröstelnden
Körper noch mehr in die Embryohaltung. Stimmen drangen von unten zu ihr auf das
Gerüst. Sie hob den Kopf und blickte hinab. Ein Tross japanischer Touristen
wurde fotografierend und staunend durch den Volksgarten gelotst. Bald würden
auch die Bauarbeiter aufkreuzen. Bis dahin musste sie verschwunden sein.
Valentina rieb sich die Augen und streckte ihre Glieder. Sie fühlte
sich verkatert. Die Nacht war kurz und ungemütlich gewesen, die wilden Träume
hatten keine neuen Erkenntnisse gebracht.
Sie war allein und wurde gehetzt. Ohne Hilfe würde sie es niemals
schaffen, sich aus der sich stetig verengenden Halsschlinge zu befreien. Aber
wo konnte sie untertauchen? Bei einem ihrer Bandmitglieder? Die Jungs würden
ihr vielleicht für ein paar Tage Unterschlupf bieten, aber Valentina wollte sie
nicht in die Sache hineinziehen. Es genügte ihr, was mit Nicola passiert war.
Jeder, der mit ihr in Kontakt kam, ihr womöglich half, geriet ins Fadenkreuz
ihrer Gegner.
Sie dachte an Burak. Er konnte eine Art Waffenbruder sein. Aber er
hatte bestimmt genügend eigene Fronten, an denen er zu kämpfen hatte. Außerdem
war es nicht damit getan, einfach nur irgendwo unterzukommen. Sie steckte auch
inhaltlich fest. Sie brachte die unzähligen Puzzleteile nicht zusammen. Kleine
Inseln gab es, aber von einem klaren Bild war sie weit entfernt. Sie brauchte
jemanden, der einen klaren Kopf besaß und der sie nicht gleich an die Polizei
verkaufte. Adler kam ihr in den Sinn. Er war klug, auf dem psychologischen
Gebiet fast so etwas wie ein Kollege, und er würde ihr vielleicht glauben, dass
sie unschuldig war.
Das Gerüst begann zu wackeln. Valentina hatte über ihren
Überlegungen die Zeit vergessen. Sie schob sich über die Gerüstdiele und sah
nach unten. Zwei Arbeiter kamen heraufgeklettert.
Rasch warf Valentina die Jutesäcke von sich, schulterte den Rucksack
und ließ sich auf der anderen Seite des Gerüstes hinab. Sie vernahm noch einen
Ruf hinter sich, der wohl ihr galt, aber sie war schon zu weit weg, als dass
sie den Inhalt hätte verstehen können.
Zwei Polizisten kamen durch den Eingang der Burgtheaterseite.
Valentina drehte sofort ab und suchte den Ausgang, der zum Parlament hin auf
den Ring führte. Wenn gestern ihr Foto im Fernsehen gezeigt worden war, würde
es heute sicherlich in den Zeitungen die Runde machen. Lange würde es
jedenfalls nicht mehr dauern, bis jemand mit dem Finger
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