Lost Place Vienna (German Edition)
auf sie deutete, um
dann gleich zum Telefon zu greifen. Und das wäre noch die mildeste Variante.
Schlimmer konnte es kommen, wenn sich rechtschaffene Bürger zu Hilfssheriffs aufschwangen
und auf eigene Faust eine Hatz auf sie starteten.
Sie musste ihr Äußeres verändern, wollte sie nicht bald auffliegen,
hätte es längst tun müssen. Aber die Ereignisse hatten sich mit einem solchen
Tempo überschlagen, dass sie sich vorkam, als hechelte sie mindestens immer
zwei Schritte hinterher.
Am ehesten würde sie das bei Nicola schaffen. Falls Parizek Nicola
in die Mangel genommen hatte, wovon Valentina ausging, wusste er natürlich
auch, dass sie in der Porzellangasse Unterschlupf gefunden hatte. Aber er würde
sie wohl kaum für so blöd halten, noch mal dorthin zurückzukehren. Also konnte
sie es riskieren. Sie hoffte, dass sie auf die Kombinationsgabe Parizeks
vertrauen durfte. Sie ertappte sich bei einem spöttischen Lächeln und atmete
tief durch. Solange sie ihren Humor noch nicht verloren hatte, wusste sie, dass
sie noch sie selbst war und keine tote Marionette, die nur auf die Seilzüge
unbekannter Hände wartete.
Sie nahm die Abkürzung durch den Rathauspark, um dann über die
Josefstadt in den neunten Bezirk zu gelangen. Die ersten Quartiercafés
hatten schon geöffnet, und Valentina roch den Duft der Melange, der sich beim
Öffnen und Schließen der Tür durch die Wintervorhänge in den Morgennebel
drängte. Zu gerne wäre sie jetzt auch durch einen dieser roten Wollfilze
geschlüpft und hätte sich eine Melange samt Kipferln bestellt, um dann mit dem
Kellner über die Unfähigkeit der Politiker zu debattieren. Aber sie hatte weder
Geld, noch erlaubten es die Umstände, sich wie eine normale Bürgerin zu verhalten.
Also stellte sie den Kragen hoch, zog den Kopf ein und marschierte, den Blick
gesenkt, durch die Josefstadt.
* * *
Nicola schrak in ihrem Bett hoch, als es an der Tür läutete. Sie
hatte sich gestern Nacht, nachdem sie von Parizek entlassen worden war, kurz
überlegt, ob sie bei Adler vorbeigehen sollte. Doch als sie vor seinem Haus
gestanden war, war ihr der Mut gesunken. Jetzt war sie froh darüber, auch wenn
sie sich mehr denn je in seine Arme sehnte.
Es läutete erneut. Ein Blick auf den Wecker verriet, dass es erst
kurz nach sieben war. Das dritte Schellen empfand Nicola als sehr lang und
aggressiv. Es drohte nicht zu verstummen. Also rappelte sie sich aus dem Bett,
hüllte sich in ihren japanischen Morgenmantel und trippelte in ihren Pantoffeln
wie eine Geisha zur Wohnungstür. Der Knopfdruck auf die Gegensprechanlage ließ
das grelle Läuten verstummen.
»Ja? Wer ist da?«
»Valentina.«
Nicola überlegte kurz. Valentina hatte ihr bislang nur Ärger
eingebracht. Sie wurde von der Polizei wegen Mordes gesucht. Der dicke Stefan
war ebenfalls tot. Vielleicht hatte sie auch dabei ihre Finger im Spiel gehabt.
Und jetzt wollte Valentina womöglich auch sie töten. Immerhin war sie Zeugin,
obwohl sie nicht wusste, was sie wissen könnte. Und die Fragen des Kommissars,
ob sie dazugehörte, hatte sie auch nicht verstanden.
Nicola drückte die Taste, die die Haustür entriegelte. Dann öffnete
sie die Wohnungstür einen Spalt und wartete, bis Valentina erscheinen würde.
Sie war gewappnet. Wenn sie jetzt sterben sollte, dann wäre es auch gut. Sie
hatte sich schon oft überlegt, sich mit Schlaftabletten ein Ende zu setzen.
Ohne erfüllte Liebe durchs Leben zu gehen war unerträglich. Besser aber wäre es
noch, wenn ihr jemand diese Arbeit abnähme.
Sie hörte die Schritte im Treppenhaus und schloss die Augen. Sie war
bereit.
* * *
Valentina zögerte, als sie vor der angelehnten Tür stand. Wenn
es eine Falle war? Wenn dahinter Parizek mit seiner Mannschaft lauerte? Ein
Impuls riet ihr, kehrtzumachen und so schnell wie möglich von hier zu verschwinden.
Aber wohin und wie weit? Sie wollte nicht davonlaufen, sie wollte ihre Unschuld
beweisen. Und das konnte sie nur, wenn sie den Mörder der drei Frauen fand.
Doch dafür musste sie Handlungsspielraum haben. Und den gewann sie bloß, wenn
nicht jeder auf der Straße sie gleich erkannte.
Im oberen Stockwerk ging eine Wohnungstür. Vermutlich der einsame
Schwätzer. Der hatte Valentina gerade noch gefehlt. Die Schritte schlurften die
Treppe hinab und näherten sich. Was blieb ihr?
Sie schlüpfte durch die Wohnungstür und schloss sie hinter sich. Vor
ihr stand Nicola in einem japanischen Morgenmantel und hatte die
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