Lost Place Vienna (German Edition)
Maul.«
»Ich heiß nicht Paul«, sagte der Wachmann.
»Wer aufs Maul kriegt, heißt immer Paul. Bei mir wenigstens.«
»Hier drin sind auch Kameras.«
»Die kriegen außer dir doch gar nichts aufs Bild. Da sieht man nur
eine Faust, die aus dem Off kommt und dir die Bierdose in den Hals drückt.«
»Warum so aggressiv?«
»Weil ich Wachmänner nicht ausstehen kann. Das sind alles Typen, die
den Eignungstest für die Polizei nicht bestanden haben und trotzdem Uniform
tragen wollen.«
»So?«
»Jawohl. Und jetzt geh aufs Klo, ich muss mich konzentrieren.«
»Stör ich? Ich trink doch nur mein Bier.«
»Du trinkst kein Bier, du schlürfst es wie heiße Suppe. Das erinnert
mich an früher, sonntags zu Hause. Da durfte man nicht reden, und mein Alter
schlürfte heiße Suppe. Irgendwann habe ich dann die Terrine gegen die Tapete
gepfeffert und wurde dafür übers Knie gelegt. Ein schweres Trauma, du
verstehst?«
»Und den Vater hast du dann mit der Suppenkelle erschlagen, hab ich
recht?«
»Exakt.«
Der Wachmann stand auf, griff sich ein Sudoku-Heft und verschwand.
Parizek widmete sich wieder dem Monitor. Valentina war unten am
Klassikerregal und stahl ein Buch, mit dem sie den Laden dann verließ. Parizek
spulte zurück und zoomte auf das Buch. Er konnte Titel und Autor lesen. An
»Dantons Tod« erinnerte er sich, weil er es auf dem Gymnasium für den
Unterricht hätte lesen sollen. Aber die Zusammenfassung hatte genügt, um
darüber zu schwafeln. Jedenfalls wusste er noch, dass es dabei um die
Französische Revolution ging. Das war aber auch schon alles.
Er spulte wieder zurück. Ihn interessierte, wann Valentina in die
Buchhandlung gekommen war und was sie getan hatte, ehe sie dem Maier in die
Eier getreten hatte.
Die Anzeige auf dem Band zeigte fünfzehn Uhr sechsundvierzig, als
Valentina die Buchhandlung betrat. Das Band lief weiter. Valentina stand nun
vor dem Regal mit den Reclam-Heften und sprach eine Verkäuferin an. Vielleicht
sollte er sie vernehmen? Vermutlich ging es aber nur um das Buch, das Valentina
nicht bei den Reclam-Heften gefunden hatte. Er stutzte. Valentina schien
irgendetwas gesehen zu haben.
Parizek drückte auf die Tastatur und klapperte die anderen Kameras
zum selben Timecode ab. Jetzt erkannte er ihn auch: Alberto. Er drehte sich um
und verschwand eilig, hatte also gesehen, dass Valentina ihn erkannt hatte. Sie
konnte ihn aber nur erkennen, wenn sie ihm mindestens schon einmal bewusst begegnet
war. Das bedeutete, Alberto war verbrannt. Und er wusste das auch. Und trotzdem
blieb er an ihr dran? Das war alles andere als professionell. Parizek musste es
melden. Aber wem? Der einzige Zugang zur ehrenwerten Familie war Alberto, und
der verweigerte seit geraumer Zeit den Kontakt.
Parizek lehnte sich in dem Rollsessel zurück, den der fette Wachmann
bereits flach gesessen hatte, und dachte nach. Alberto hatte ihm den Auftrag
gegeben, Valentina Fleischhacker einzuheizen. Er sollte sie jagen, als wäre sie
eine vierfache Mörderin. Obwohl sie unschuldig war. Dafür würde er weiterhin
seine monatlichen Überweisungen auf das Konto nach Liechtenstein bekommen. Wenn
alles gut lief, sogar einen Bonus. Parizek hatte sich bislang an die
Verabredung gehalten. Und er würde es weiterhin tun. Er hatte dabei nichts zu
verlieren. Keiner konnte ihm vorwerfen, dass er seinen Job nicht machte. Nur
Bauer nervte. Er wollte rasche Ergebnisse. Er war nicht eingeweiht in das
Spiel, glaubte tatsächlich, dass Fleischhacker die Killerin war. Idiot. Aber er
war nun mal Parizeks Vorgesetzter, und wenn ihm einer die Dienstaufsicht an die
Hacken setzen konnte, war es Bauer. Es wäre also günstig, sich zwischenzeitlich
bei ihm zu melden und ihm Ergebnisse mitzuteilen. Über Alberto würde er
freilich schweigen.
* * *
»Es scheint in dieser Versammlung einige empfindliche Ohren zu
geben, die das Wort ›Blut‹ nicht wohl ertragen können. Einige allgemeine
Betrachtungen mögen sie davon überzeugen, dass wir nicht grausamer sind als die
Natur und die Zeit«, krächzte es von der Seite.
Valentina hob den Kopf und blickte in das vorwitzig faltenreiche
Gesicht eines Mannes, dessen Alter schwer zu schätzen war. Vielleicht war er
sechzig, vielleicht aber auch achtzig? Mittlerweile war es dunkel geworden, und
die schummrige Beleuchtung, die vom Graben her mit den ersten Nebelschwaden
dampfte, zeichnete Gesichtszüge weich.
Der Mann war gekleidet wie ein gut situierter Herr aus den zwanziger
Jahren des letzten
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