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Lost Place Vienna (German Edition)

Lost Place Vienna (German Edition)

Titel: Lost Place Vienna (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lost Place Vienna
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nicht wartete, um sie
Parizek auszuliefern?
    Sie entschloss sich, nicht gleich auf ihn zuzugehen, sondern erst
einmal die Lage zu sondieren. Sie hielt sich rechts vom Treppenaufgang im
Schatten einer der tragenden Säulen. Von dort aus hatte sie einen guten Blick
über die gesamte Treppe, mit einer leichten Kopfdrehung bekam sie auch Adler
rasch ins Visier. So versuchte sie sich Klarheit über die Situation zu
verschaffen, was jedoch geradezu unmöglich war. Gegenüber hatte ein Zirkus sein
Zelt aufgeschlagen, aus den Lautsprechern hallte Musik. Menschen drängten sich
über den Rathausplatz, wurden vom Nebel umgarnt. Die Tram, die direkt vor dem
Burgtheater hielt, spuckte und fraß Fahrgäste, und Droschken wechselten sich
mit Taxis ab, um Pelzträgerinnen samt deren Jägern direkt vor dem Theater
abzusetzen.
    Adler rauchte noch immer. Jetzt suchte er eine Entsorgungsmöglichkeit
für den Stummel. Er entschied sich dafür, ihn einfach auf die Treppe zu werfen
und ihn mit der Fußspitze von der Restglut zu befreien.
    Die Treppe war dicht bevölkert. Valentina zwängte sich durch die
Menschentrauben und näherte sich Adler. Er bemerkte es nicht, als sie neben ihm
stand. Sie zupfte ihn am Ärmel und schob ihre Mütze leicht aus der Stirn. Er
lächelte sie an, wie es sonst nur George Clooney tat, und sie wünschte sich,
sie wäre in einem Film mit ihm verschmolzen und in der Ausstellung am Karlsplatz
zu bewundern.
    »Führerloge. Das sind gute Plätze.« Er zog seine Karte aus dem
Trenchcoat.
    »Führerloge?«, fragte Valentina.
    »Ja, dort saß der Führer. Früher vermutlich auch mal der Kaiser.
Aber da der Führer wohl der ambitioniertere Weltherrscher war, hat man sie
unter der Hand ihm überschrieben. Passt jedenfalls zum Stück.«
    »Was hat Hitler mit der Französischen Revolution zu tun?«
    »Hast du das Stück denn nicht gelesen? Das solltest du immer tun,
bevor du ins Theater gehst. Dort erlebst du nämlich nicht das Stück, sondern
den Traum eines Furzes, den sich ein Regisseur aus dem Enddarm gepresst hat, um
jung und wild zu gelten.«
    »Seit wann bist du so konservativ?«
    »Wieso ist das konservativ, wenn ich wissen will, was verhandelt
wird? Ich nenne das mündig.«
    Valentina atmete tief durch. »Bist du immer so anstrengend? Ich
meine, kann man mit dir auch einfach mal nur übers Wetter reden? Muss es immer
gleich zum Kern der Welt dringen?«
    »Das Leben ist zu kurz und das Wetter zu unbeständig.«
    »Auf den Wiener Nebel kannst du dich verlassen.«
    »Aber darüber wurde bereits alles gesagt. Und wie ich finde, recht
schwach.«
    »Was?«
    »Die österreichische Literatur hat den Wiener Nebel niemals richtig
gewürdigt. So wie es Dickens in ›Bleak House‹ getan hat. Kennst du es? Du musst
es lesen. Nicht alles darin hat wirklich Zug, aber die Eingangssequenz über den
Londoner Nebel, das ist ein Muss. Wenn man wirklich über Wetter reden will.«
    »Tust du mir einen Gefallen?«
    »Gerne.«
    »Wenn das Stück beginnt, halt bitte die Klappe.«
    »Versprochen. Vorher trinken wir aber einen Sekt. Einverstanden? Wer
weiß, wann ich wieder einmal das Vergnügen habe, mit dir ins Theater zu gehen.
Hinter jeder Ecke könnte schließlich die Handschelle lauern.«
    »Es macht dir wohl Spaß, mit einer Mordverdächtigen unterwegs zu
sein.«
    »Ja, ich muss gestehen, so etwas kriegt man nicht alle Tage.«
    »Hast du denn keine Angst, dass ich tatsächlich eine Mörderin sein
könnte?«
    »Um ehrlich zu sein, ich wünsche es mir sogar. Findest du das
pervers?«
    »Ich schätze, du betrachtest das rein wissenschaftlich.«
    »Ich freue mich, dass du es selbst so siehst.« Adler lächelte und
zog ab, um sich um die versprochenen Getränke zu kümmern.
    Valentina blieb hinter einer Säule zurück und zog den Schirm ihrer
Mütze wieder tiefer in die Stirn. Gerade so viel, dass sie darunter hervorsehen
konnte, wer sich das Stück heute Abend sonst noch ansehen wollte. Womöglich war
auch der unbekannte Strippenzieher mit von der Partie. Immerhin hatte er sie
hierher eingeladen. Dass sie nicht mit Nicola, sondern mit Adler hier war,
würde ihn allerdings bestimmt irritieren.
    Valentina überlegte, ob er sie bereits entdeckt hatte, und hielt
Ausschau nach ihrem Verfolger mit dem gestutzten Schnäuzer. Sie konnte ihn
nirgendwo entdecken.
    Adler kam mit zwei perlenden Gläsern zurück.
    »Leider nur eine müde Brause. Die edlen Tropfen trinken sie wohl in
der Direktion.« Er reichte Valentina ein Glas, stieß mit ihr an

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