Lost Princesses 02 - Ketten Der Liebe
ihren eigenen Waffen schlagen. »Ich habe es mir zur Regel gemacht«, verkündete er gedehnt, »dass meine Mätressen nicht jünger als zwanzig sein dürfen. Sind die Frauen zu jung, sind sie zwar begeisterungsfähig, besitzen aber keine Finesse. Kein Geschick.«
Selbst bei dieser schonungslosen Ehrlichkeit zuckte sie nicht zusammen. »Ich könnte mir vorstellen, dass die Frauen ein gewisses Alter haben müssen, damit Sie Ihrer Lasterhaftigkeit neue Facetten verleihen können«, merkte sie kühl an.
»Ich kann meine Fantasien ausleben, wann immer ich möchte, aber ich fürchte, Sie wären nicht die Richtige für mich.«
»Sie haben bestimmt eine rege Fantasie. Dann können Sie sich ja auch sehr gut vorstellen, welchen Kummer ich leide, wenn ich nicht in die engere Wahl komme.« Sarkasmus klebte an jedem ihrer Worte.
Aha. Sie war noch keine zwanzig.
Er war neunundzwanzig.
Das Verlangen, dieses Gegenüber zu überlisten, wurde stärker und stärker.
»Je besser ich Sie kenne, desto mehr frage ich mich, wer Sie sind.« Er zählte ihre Eigenschaften an den Fingern ab. »Sie sprechen wie eine Dame. Sie kleiden sich wie eine Landarbeiterin. Sie schießen wie ein Scharfschütze. Sie sehen die Welt mit zynischem Blick, doch sie verehren Miss Victorine. Bei Ihrem Gesicht und Ihrem Körper würde sogar eine Göttin vor Neid erblassen, aber Sie geben sich vollkommen unschuldig. Und genau diese Unschuld verbirgt Ihre wahren verbrecherischen Absichten und den Willen, eine Straftat zu begehen.«
»Dann bin ich wohl Athene, die Göttin des Krieges.«
»Gewiss nicht Diana, die Göttin der Jungfräulichkeit.«
Kaum hatte er seinen letzten Pfeil verschossen, da sah er, dass Amys sorgsam zur Schau getragene Maske fiel. Das Blut schoss ihr in die Wangen. Sie nagte an ihrer Unterlippe und warf einen Blick zur Treppe, als mache sie sich erst in diesem Moment bewusst, dass sie diesem Gespräch rechtzeitig hätte aus dem Weg gehen können.
Er lachte leise und sonnte sich in seinem Triumph. »Vielleicht irre ich mich auch. Vielleicht haben Sie doch mehr mit der Göttin Diana gemein, als ich dachte.«
»Bedenken Sie, Sir, dass Diana auch die Göttin der Jagd war.« Amy beugte sich wieder über den Tisch, um ihren Worten mit ihrer ganzen Haltung Nachdruck zu verleihen, aber die Röte war noch nicht aus ihren Wangen gewichen. »Sie ist oft mit Pfeil und Bogen abgebildet, und sie hat ihre Beute immer zur Strecke gebracht. Schauen Sie nur auf das Loch, das die Kugel dort in der Mauer hinterlassen hat. Dann haben Sie den Beweis dafür, wie geschickt ich bin. Denn inzwischen wissen wir ein paar Dinge über einander. Ich weiß zum Beispiel, dass Sie mich an den Galgen bringen wollen, wenn Ihnen die Flucht gelingt. Und Ihnen dürfte bewusst sein, dass ich keine Skrupel habe, noch einmal auf Sie zu schießen, wenn ich Sie bei der Flucht erwische. Behalten Sie das im Hinterkopf, wenn Sie wieder einmal einen sehnsuchtsvollen Blick auf das Fenster werfen.« Mit Schwung nahm sie das Tablett und ging die Treppe nach oben.
Jermyn hatte noch etwas über Amy in Erfahrung gebracht.
Sie hatte auch gern das letzte Wort.
7. Kapitel
W er war sie ? Woher kam sie?
Am oberen Treppenabsatz, in der Küche, blieb Amy stehen und fasste sich an das silberne Kreuz, das sie um den Hals trug. Diese Kette verband sie mit ihrem Land und ihren Schwestern.
Verloren. Alles war verloren.
Wer war sie ? Woher kam sie ?
Northcliff verlangte Antworten, als hätte er ein Recht, diese Dinge zu erfahren. Einer solch anmaßenden Haltung hatte Amy sich oft stellen müssen. Dominanten Leuten wie dem Marquess hatte sie immer getrotzt.
Doch nie war sie einem Mann begegnet, der ihre Gedanken zu lesen versuchte und ihre Geheimnisse entdeckte. So etwas mochte sie nicht. Sie mochte ihn nicht. Sie hatte kein Vertrauen zu ihm, wenn er so freimütig über Mätressen sprach und seine Fantasien in schamloser Offenheit bekannte.
Fantasien, in denen sie vorkam!
Wer war sie ? Woher kam sie ?
Sie wusste genau, dass sie anziehend wirkte. Das wusste sie seit ihrem vierzehnten Lebensjahr. Während der Jahre, die sie mit ihrer älteren Schwester Clarice unterwegs gewesen war, hatte sie sich mit Hilfe von Kosmetika von einem gewöhnlichen Mädchen in eine Frau verwandelt, nach der man sich umdrehte. Dabei war Clarice die schöne Tochter. Sie verzauberte die Leute in den Dörfern mit ihrem Charme, konnte ihre Produkte verkaufen und für ihren und Amys Lebensunterhalt sorgen. Alle hatten
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