Lost Princesses 02 - Ketten Der Liebe
kümmert es den mächtigen Marquess von Northcliff, was Miss Victorine Sprott zu seinem Verhalten zu sagen hat?«
»Die Offenbarungen der letzten zehn Tage haben aus dem Marquess von Northcliff einen demütigen Mann gemacht. Nur eine Sache hat mich davor bewahrt, vollends auf meinen Stolz zu verzichten - du und die sanfte Verführung.«
Sein Tonfall gefiel ihr überhaupt nicht. Seine Stimme löste einen wohligen Schauer in ihr aus, sodass sie lieber die Arme um seine Taille geschlungen hätte, anstatt ihn mit Faustschlägen zu traktieren. Sie hielt es für besser, ihm jetzt die Wahrheit zu sagen und ihren Stolz zu bewahren. Die Gefahr, sich von seiner Nähe blenden zu lassen, war einfach zu groß. »Also gut, ich erzähle dir, wer ich bin. Seit meinem zwölften Lebensjahr bin ich unterwegs und schlage mich als Hausiererin auf Englands Straßen durch. Meine Schwester und ich, wir beschwindelten die Leute ein wenig. Wir verkauften Gesichtscremes und Kosmetika an arme, verblendete Frauen, die sich der Vorstellung hingaben, sie wären schön. Ich hatte mit Dieben und Bettlern zu tun.«
Er hielt inne.
Offenbar hatte sie das Richtige gesagt. Sie hatte ihn überzeugt. Jetzt würde er fortgehen und sie allein lassen ...
Langsam ließ er sie von seiner Schulter gleiten und stellte sie auf dem Gras neben dem Pfad, der zum Strand führte, wieder auf die Füße. Er wartete, bis sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte, und sah sie an. »Hast du dir diese Diebe und Bettler mit deiner schroffen Art vom Leib gehalten?«, fragte er.
»Wie meinst du das?« Die Leute aus dem Dorf folgten ihnen wie Kinder, die hinter dem Rattenfänger herliefen.
»Wenn du so zügellos wärst, wie du behauptest, dann hättest du nicht jungfräulich in meinen Armen gelegen.«
Vielleicht kamen seine anderen Frauen mit einer solchen Bemerkung klar. Vielleicht war es anderen Frauen gleich, wenn das halbe Dorf zuhörte. Amy blickte ihn wütend an und rief: »Halt den Mund!«
»Dann hör auf, mir weiszumachen, anders zu sein, als du bist.« Schwungvoll hob er sie auf seine Arme. Kleine Steine lösten sich unter seinen Stiefelsohlen, als er den abschüssigen Pfad zum Strand einschlug. »Du bist eine Lady. Ich kann das nicht genau erklären, aber jedes wohl artikulierte Wort, das du von dir gibst, und jede verrückte Idee beweisen mir, dass du eine wohlbehütete Kindheit hattest.«
»Hatte ich nicht!«, hielt sie dagegen.
»Zumindest eine Zeit lang.« Seine Schritte versanken tief im Sand.
Die Brise von der See wehte frisch und gleichbleibend, fuhr ihr ins Haar und löste eine Gänsehaut auf ihren Armen aus. Weiter oben am Strand konnte sie die aufgeregten Stimmen der Leute hören. Ihre ganze Wahrnehmung war geschärft, und doch vermochte sie die Wirklichkeit nicht richtig einzuordnen. Weder in den zurückliegenden Wochen noch in der vergangenen Nacht war sie auf das vorbereitet gewesen: Heirat. Eine Ehe mit dem Marquess von Northcliff. Mit dem Mann, den sie zu ihrem Geliebten gemacht hatte. Das war nicht möglich.
»Da ist die Stelle.« Er blieb stehen und sprach so unbeschwert, als würde er sich freuen. »Seit heidnischer Zeit sind die Menschen von Summerwind durch diesen Bogen geschritten - oder wurden getragen -, um zu heiraten. Ich werde nicht der erste Edmondson sein, der auf diese Weise seine Verbindung zu einer Frau geltend macht.«
Auf dem felsigen Untergrund, der den Strand einfasste, erhob sich ein steinerner, mannshoher Bogen, durch den zwei Menschen nebeneinandergehen konnten. Die Steinformation selbst glich einer Figur mit zwei Köpfen, wobei der eine Kopf höher als der andere war. Vermutlich war diese Form der Grund, warum die Menschen früher in ihrem Aberglauben dem Ort die Kraft zusprachen, eine Ehe zu schließen. Durch den Bogen sah Amy die Sterne, die wie lustige Äuglein funkelten, und mit einem Mal stieß sie in ihrer eigenen Seele auf ein gewisses Maß an Aberglauben. »Ich kann dich nicht heiraten.«
Er ging einfach weiter. Dieser Mann war kompliziert und zugleich stark — körperlich wie auch geistig.
»Ich bin nicht diejenige, für die du mich hältst.« Da sie nicht mehr weiterwusste, klammerte sie sich an die Wahrheit. »Ich bin eine der Prinzessinnen aus Beaumontagne, die im Exil leben.«
Er verlangsamte seine Schritte. »Tatsächlich?« Er stellte ihr keine Frage, überzog sie nicht mit Spott. Stattdessen schien er die Möglichkeit abzuwägen und wirkte keineswegs unzufrieden.
»Ja, das stimmt wirklich.«
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