Lost Princesses 02 - Ketten Der Liebe
unterbrochen, die weiter unten auf die Felsen brandenden Wellen und die klare, salzige Luft - all diese Eindrücke hatten ihren eigenen Reiz. Nichts glich dem vollkommenen Augenblick, wenn man den Blick in aller Ruhe über die See schweifen lassen konnte und die Insel Summerwind sah, die halb hinter grauen Wolkenschleiern verborgen lag, während sich am fernen Horizont Stücke des blauen Himmels abzeichneten. Ein Fischerboot glitt über die Wellen, und tief in ihrem Innern hatte Amy das Gefühl, sich in das friedvolle Naturschauspiel und die gleichmäßig wogende See fallen lassen zu können.
Während der fünf Tage, die sie allein mit Jermyn in dem Cottage verbracht hatte, war jeden Tag ein warmer Frühlingsregen niedergegangen. Biggers hatte ihnen die Mahlzeiten serviert, und sie hatten viele Stunden im Bett zugebracht und nicht allzu viele Worte gewechselt, sondern sich die Zeit mit Liebesspielen versüßt.
An diesem Tag war die Sonne durchgekommen, worauf Amy und Jermyn es sich mit einer Decke und einem Picknickkorb auf den Klippen gemütlich gemacht hatten.
»Genau an dieser Stelle stand ich an jenem Tag und schaute aufs Meer hinaus, als du mich entführtest. Der Nebel kam landeinwärts, alles war grau und verhangen ... ich hatte nichts zu tun, wusste nicht, wo ich hingehen sollte,
und wünschte, ich wäre woanders als an diesem langweiligen Ort.« Er sprach mit leiser, bedächtiger Stimme, um dem friedlichen Augenblick nicht den Zauber zu nehmen. »Keinen Moment hatte ich daran gedacht, dass mein Leben sich so nachhaltig ändern sollte ... und so wundervoll würde.«
»Das hat sich vor zwei Wochen aber noch ganz anders angehört«, neckte sie ihn und packte die Reste ihrer Mahlzeit wieder in den Korb.
Inmitten des hellgrünen Grases und der leuchtenden Frühlingsblumen saßen sie auf der Decke: Jermyn trug schlichte Kleidung, die für Amys Dafürhalten gar nicht schlicht war, und sie hatte wieder eins von Miss Victorines alten Kleidern an. Sie gaben ein seltsames Paar ab.
Amy glaubte, dass sich das wohl nie ändern würde.
»Ich bin eben immer pragmatisch. Siehst du den Flügel von Summerwind Abbey dort drüben?«
Sie schaute über die Klippen zu der Stelle, wo sich das stolze Landhaus mit seinen Seitenflügeln erhob. »Steht gefährlich nahe an den Klippen.«
»Das Haus wurde vor zweihundert Jahren errichtet, und seitdem hat das Meer die Klippen unterspült und das Haus näher an das Ufer gebracht.« Er deutete auf die hohen Fenster und den schönen Balkon aus weißem Stein, der auf das Meer ging. »Das dort ist das Herrenzimmer, weißt du noch? Du hast meine Leibwäsche geholt.«
»Ganz recht. Du bist der Mistkerl, der mir einen Botengang auftrug, obwohl du selbst hättest gehen können.« Sie musterte ihn genauer, als sich ein Lächeln um seine Mundwinkel abzeichnete. »Gib es zu, du bist selbst hingegangen!«
»Ich habe dich dort beobachtet«, gab er offen zu.
»Hab ich dich schon einen Mistkerl geschimpft, oder muss ich das noch nachholen?« Als sie sich erinnerte, wie schwierig es gewesen war, sich unbemerkt unter die Bediensteten von Summerwind Abbey zu schmuggeln, wusste sie einen Augenblick lang nicht, ob sie lachen oder fluchen sollte. »Ein ganz gemeiner Mistkerl bist du!«
»Ja, aber du musst Nachsicht mit mir üben, denn das ist nun mal meine Natur.«
»Da hast du recht.« Aber sie war nicht in der Stimmung, sich zu ärgern. Die Tage voller Zärtlichkeiten und leidenschaftlicher Begierde hatten sie sanftmütig werden lassen. Die Vorstellung hätte sie aufregen müssen, doch Amy war einfach zu gut gelaunt.
Unmerklich geriet sie immer weiter in den Sog ihrer neuen Lebensumstände.
Jermyn legte den Arm um sie, zog sie eng an sich und öffnete den Mantel, damit sie sich an seine Brust schmiegen konnte.
Nur zu gerne genoss sie die Wärme seines Körpers und lohnte ihm die Geborgenheit, die er ihr schenkte, mit einem glücklichen Lächeln. »Dein Haus ist wunderschön, besonders der Garten.«
»Dann hast du ja ein angenehmes Jahr vor dir.« Jermyn flüsterte mit seiner tiefen Stimme, als wäre jedes einzelne Wort ein Liebesbekenntnis.
»O ja, sehr angenehm.« Amy streichelte sein Bein, um von ihrer Unruhe abzulenken. »Allerdings habe ich mich gefragt, wann ich Miss Victorine sehen werde.«
»Wann immer du willst. Es ist nur eine kurze Überfahrt.«
»Ich vermisse sie.« Amy musste unbedingt mit der alten Dame über die Beziehung mit Jermyn sprechen. Miss Victorine war oft
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