Lost Secrets (Gesamtausgabe)
Wie jeder Schotte Anfang Sechzig, der nachts um halb Zwei aus seinem wohlverdienten Schlaf geklingelt wurde, meldete sich ihr Vater mit einem krächzenden „Aye?“
Heather erklärte ihm in wenigen Sätzen, dass sie mit ihrer Mutter auf dem Weg zu ihm wären und seine Hilfe bräuchten. Er war so verblüfft, dass er nicht weiter nachfragte und ankündigte Schlafzimmer fertigmachen zu lassen, bis sie ankamen.
„Soll ich dich ablösen?“, fragte Heather Eric.
Er zeigte auf die Windschutzscheibe. „Du hast diesem hilflosen Wagen bereits genug Schaden zugefügt.“
„Dann mache ich jetzt ein Nickerchen.“ Sie wollte ihrer Mutter raten dasselbe zu tun, doch diese war bereits eingeschlafen.
*
„Heather?“
Widerwillig hob sie ein Augenlid. „Ja?“
„Ich brauche die Adresse.“
Heather nannte ihm leise die Adresse ihres Vaters und lehnte sich dann wieder zurück, während sie sich innerlich für das Aufeinandertreffen ihrer Eltern rüstete.
„Das ist ja ein ganz schön imposanter Kasten.“
Heathers Blick folgte dem von Eric. Vor ihnen tauchte am Ende der langen gekiesten Einfahrt die Burg auf, die ihr Vater in den letzten zehn Jahren Stück für Stück renoviert hatte. Sie hatte zwei hohe Türme, einen See an der Rückseite und rundherum Schießscharten.
„Ja, allerdings.“
„Wie ist dein Vater so?“
Heather überlegte kurz. „Direkt“, sagte sie dann und fand, dass es das am besten traf.
Seit fast zwei Jahren hatte sie ihn nicht gesehen, ihn nur zu Geburtstagen und zu Weihnachten angerufen. Auch für sie war die Situation alles andere als gewöhnlich, und das nicht nur allein wegen der Umstände.
Eric brachte den Wagen im Innenhof zum Stehen.
Breite Steinstufen, die zu beiden Seiten von Laternen beleuchtet waren, führten zu einer zweiflügligen Eingangstür, hinter der sofort das Licht anging. Eric stieg aus und half Heather vom Rücksitz. Ihre Mutter war ebenfalls aufgewacht und streckte sich ein wenig. Müdigkeit und Erschöpfung waren ihr deutlich anzusehen.
„Aber ich werde nicht mit ihm reden“, beharrte sie trotzig, während sie sich notdürftig den Schlafrock glattstrich und die Schultern straffte.
„Ach, du großer Gott!“
Alle drehten sich nach der vollen Baritonstimme von Heathers Vater um und sahen ihn aus dem Haus auf sie zu stürzten. Er hatte rotes, bereits etwas dünnes Haar, einen ebenfalls roten, mit grauen Fäden durchzogenen Vollbart und trug unter seinem hellen Hemd einen dunkelkarierten Kilt, während seine nackten Füße in abgetragenen Lederslippern steckten.
„Was ist denn mit dir passiert, Lizzy?“, rief er und war mit zwei Schritten bei ihnen. Er riss Heathers Mutter förmlich in seine Arme und klopfte ihr etwas grobmotorisch auf den Rücken.
„Lass mich los, Brian.“ Sie versuchte ihn von sich zu schieben. „Ich will nichts mit dir zu tun haben.“
„Red‘ keinen Unsinn, Mädchen!“
Er beachtete ihren Protestversuch gar nicht. Und als sie ein paar Sekunden später nachgab, ihre Arme um ihn legte und leise schluchzte, hätte Heather beinah mitgeheult.
„Ist ja gut. Alles ist gut.“ Er hielt sie noch immer fest und sah Heather an. „Du bist groß geworden, Heddy.“
„Dad, ich wachse seit etwa 15 Jahren nicht mehr.“
„Dann muss ich geschrumpft sein. – Also, was ist hier los?“
Heather atmete tief durch. Ihr Vater hatte so gar keine Schwäche für Smalltalk.
Sie zeigte neben sich. „Dad, das ist mein Kollege Eric Moore.“
Ihr Vater legte den Kopf in den Nacken und nickte ihm einen Gruß zu. „Junge, Junge. Sie können aber aus der Dachrinne saufen, was?“
„
Dad
!“
„Na, ist doch so!“ Er sah zu Eric empor. „Hab‘ ich nicht Recht?“
„Gewissermaßen, Sir.“ Seine Stimme war kühl, doch Heather kannte ihn mittlerweile so gut, dass sie die Belustigung in seinem Gesicht sah.
Aus dem Haus kam eine alte Dame gelaufen. Es war Mary, die schon auf Brian MacLean aufgepasst hatte, als er noch ein Kleinkind gewesen war, und nun mit fast achtzig Jahren tat sie es immer noch.
Heather lächelte ihr entgegen, begrüßte sie und stellte ihr Eric vor. Dann löste sich Brian von Elisabeth, die sich verschämt über das Gesicht wischte.
„Mary wird dir einen Tee machen, Liz. – Ordentlich Schuss rein, Mary!“, sagte er mit einem Zwinkern an die alte Dame gewandt und übergab Heathers Mutter in deren Obhut.
Als die beiden Frauen außer Hörweite waren, umarmte er Heather.
„Tut mir leid, Schätzchen. Deine Mutter war so
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