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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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der wackersten Gattin und Hausmutter, war er im Oeffentlichen, Gelehrten und Literarischen ein Kampfhahn, der außerordentlich den Federkrieg, die Disputation, die scharfen Aufsätze liebte und beständig in frohem und verjüngendem Zorn gegen Gesinnungen zu Felde zog, welche einem aufgeklärten Protestantismus, der antikisch klaren Menschlichkeit, die er meinte, zuwider waren. – Das Voßische Haus also, meinem Vaterhause nahe befreundet, war mir in Heidelberg ein zweites Vaterhaus und ich ihm ein zweiter Sohn.
    So war es nicht nur ein freudig Erschrecken, sondern auch Betroffenheit und Bedenklichkeit, die mich ankamen, als ich, schon bald nach meiner Ankunft, dem Schwarmbilde meiner Knabenzeit, dem Genossen frischer Winterlust, auf der Straße von ungefähr in die Arme lief. Ich hatte auf die Begegnung gefaßt sein dürfen oder müssen und in der Tiefe meiner Seele stündlich mit ihr gerechnet, denn ich wußte, daß Arnim hier lebte, daß er hier seine ›Zeitung für Einsiedler‹, ein witzig verträumtes und rückgewandtes Organ, die Stimme der neuen romantischen Generation, herausförderte, und wenn ich mich recht prüfte, mußte ich mir gestehen, daß eben dies mein erster, heimlicher Gedanke gewesen war, als man mir Heidelberg zum Schauplatze meiner Fuchsenzeit bestimmt hatte. Wie nun der Freund vor mir stand, beengten mich Glück und Verlegenheit, und ich glaube wohl, daß ich rot und blaß wurde vor {272} ihm. Aller Zwiespalt und Parteihader der Zeit und ihrer neben einander wohnenden Geschlechter fiel mir aufs Gewissen. Ich wußte wohl, wie man bei Vossens über den frommen, verschönenden Kultus der Vorzeit, der deutschen und christlichen, dachte, als dessen Repräsentant von Arnim sich mehr und mehr hervorgetan hatte. Ich fühlte auch, daß die Zeiten freier Kindheit, da ich mich in Unschuld hatte zwischen den Lagern bewegen dürfen, vorüber seien, und die Herzlichkeit, mit der jener, schöner und ritterlicher von Erscheinung als je, die Bekanntschaft mit mir wieder aufnahm, beseligte und verstörte mich auf gleiche Weise. Er ergriff meinen Arm und nahm mich mit sich zum Buchhändler Zimmer, wo er seinen Tisch hatte; aber obgleich ich ihm anfangs Einiges über Bettina Brentano zu berichten hatte, die ich kürzlich zu Frankfurt bei meiner Großmutter oft gesehen, half sich doch bald ein stockendes Gespräch nur noch mühsam weiter, und ich litt schwer darunter, ihm den Eindruck unjugendlicher Stumpfheit erwecken zu müssen, der sich denn schließlich in seinen Blicken, seinem unwillkürlichen Kopfschütteln zu meiner Verzweiflung unverhohlen kundtat.
    In den Händedruck, mit dem ich mich von ihm verabschiedete, suchte ich etwas von dieser Verzweiflung und von der Sehnsucht zu legen, ihm die Zärtlichkeit, die mein Knabenherz für ihn gehegt, bewahren zu dürfen. Bei Vossens aber, denselben Abend noch, konnte ich nicht umhin, von der Begegnung Bericht abzulegen und fand die Lage schlimmer als ich sie mir vorgestellt. Der Alte war im Begriffe, gegen ›diesen Burschen‹, wie er sich ausdrückte, ›diesen Jugendverderber und dunkelmännischen Beschöniger des Mittelalters‹ literarisch vom Leder zu ziehen und eine Streitschrift gegen ihn loszulassen, die ihm, so hoffte er, Aufenthalt und Wirksamkeit in Heidelberg verleiden werde. Sein Haß auf das tückisch-spielerische, verführerisch-widersacherische Treiben der romantischen Literato {273} ren entlud sich in polternden Worten. Er nannte sie Gaukler ohne wahren historischen Sinn, ohne philologisches Gewissen und von verlogener Pietät, da sie die alten Texte, die sie ans Licht zogen, frech verfälschten, unter dem Vorgeben, sie zu verjüngen. Vergebens wandte ich ein, daß Vater doch einst das ›Wunderhorn‹ sehr freundlich aufgenommen habe. Von seiner gleichmütigen Güte abgesehen, versetzte Voß, ehre und schätze mein Vater die Folklore und jedwedes Nationelle in einem ganz anderen Sinn und Geist als jene deutschtümelnden Poetaster. Im Übrigen stehe sein alter Freund und Gönner ganz ebenso, wie er, zu diesen patriotischen Frömmlern und Neokatholiken, deren Verherrlichung des Vergangenen nichts als tückische Anschwärzung der Gegenwart und deren Verehrung für den großen Mann höchst unrein sei, da sie einzig darauf abziele, ihn auszubeuten und ihren Zwecken vorzuspannen. Kurzum, wenn mir an seiner, des Rektors, väterlicher Freundschaft und seiner Liebe und Fürsorge irgend gelegen sei, so hätte ich mich jedes Umganges und Wiedersehens mit

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