Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
gebundener Unschuld verharrt, wann nichts und niemand, außer ihren engsten Adepten, ihre Sprache spricht. In solchen vermeintlich unpolitischen Perioden – ich möchte sie Perioden politischer Latenz nennen – ist {269} es möglich, das Schöne frei und unabhängig von der Politik, womit es in stiller, doch unverbrüchlicher Entsprechung steht, zu lieben und zu bewundern. Es ist leider nicht unser Los, in einer so milden, Duldung gewährenden Zeit zu leben. Die unsrige hat ein scharfes Licht von unerbittlicher Deutlichkeit und läßt in jedem Dinge, jeder Menschlichkeit, jeder Schönheit die ihr inhärente Politik aufbrechen und manifest werden. Ich bin der Letzte zu leugnen, daß daraus mancher Schmerz und Verlust, manche bittere Trennung entsteht.«
»Was besagen will, daß Sie nicht unbekannt mit solchen Bitterkeiten geblieben sind?«
»Allenfalls«, sagte der junge Goethe nach kurzem Schweigen, indem er auf die wippende Spitze seiner Stiefelette niederblickte.
»Und würden Sie wohl wie ein Sohn zur Mutter davon sprechen mögen?«
»Es ist Ihre Güte«, erwiderte er, »die mir schon das Allgemeine entlockt hat; warum sollte ich nicht das Besondere hinzufügen? Ich kannte einen Jüngling, etwas älter als ich, den ich mir zum Freunde gewünscht hätte: von Arnim mit Namen, Achim von Arnim, aus preußischem Adel, sehr schön von Person, sein ritterlich froh enthusiastisches Bild drückte sich schon früh in meine Seele ein und blieb ihr gegenwärtig, ob ich ihn gleich immer nur sporadisch, in längeren Abständen wiedersah. Ich war noch ein Knabe, als er erstmals in meinen Gesichtskreis trat. Es war in Göttingen, wohin ich meinen Vater hatte begleiten dürfen, und wo der Student sich uns heiter bemerkbar machte, indem er, am Abend nach unserer Ankunft, auf der Straße ein Vivat auf Vater ausbrachte. Seine Erscheinung konnte den lebhaft-angenehmsten Eindruck auf uns ausüben, und der Zwölfjährige vergaß sie nicht, weder im Träumen noch im Wachen.
Vier Jahre später kam er nach Weimar, kein Unbekannter {270} mehr im poetischen Reich: der romantisch-altdeutschen Geschmacksrichtung mit geistreicher Schwärmerei, oder sage ich: mit gemütvollem Witze hingegeben, hatte er unterdessen, in Heidelberg, zusammen mit Clemens Brentano jenen Volksliederschatz, genannt ›Des Knaben Wunderhorn‹ gesammelt und an Tag gegeben, welchen die Zeit mit Rührung und Dankbarkeit aufnahm, – war doch die Kompilation aus ihren eigensten Neigungen geboren. Der Verfasser legte Besuch ab bei meinem Vater, herzlich belobt von diesem für seinen und seines Genossen reizvollen Beitrag, und wir Jungen schlossen uns aneinander. Es waren glückliche Wochen. Niemals bin ich froher gewesen, meines Vaters Sohn zu sein, als damals um seinetwillen, da es den Nachteil an Jahren, Ausbildung, Verdiensten wettmachte, worin ich gegen ihn stand, und mir seine Aufmerksamkeit, seine Achtung und Freundschaft zuwandte. Es war Winter. In allen Leibeskünsten geschickt, auch hierin dem Jüngeren sonst weit überlegen, konnte er, zu meiner Wonne, in einer doch bei mir in die Schule gehen: Er lief nicht Schlittschuh, ich durfte es ihn lehren, und diese Stunden frischer Regung, in denen ich es dem Bewunderten zuvortun, ihn unterweisen konnte, waren die glücklichsten, die mir das Leben gebracht hat – ich erwarte, offen gestanden, keine glücklicheren von ihm.
Abermals vergingen drei Jahre, bis ich Arnimen wiederbegegnete – in Heidelberg, wohin ich anno 8 als Student der Rechte kam, wohl empfohlen an mehrere ansehnliche und geistreiche Häuser, vor allem an das des berühmten Johann Heinrich Voß, des Homeriden, mit welchem Vater seit seinen Jenaer Tagen befreundet war, und dessen Sohn Heinrich zu Zeiten den Dr. Riemer bei uns als Hauslehrer vertreten hatte. Ich will nur gestehen, daß ich Voß den Jüngeren nicht sonderlich liebte; die vergötternde Hingabe, die er meinem Vater widmete, langweilte mich eher, als daß sie mich ihm gewonnen {271} hätte; ich muß ihn eine zugleich enthusiastische und langweilige Natur nennen (diese Mischung kommt vor), und ein Lippenleiden, das ihn noch zu der Zeit, als ich in Heidelberg eintraf, hinderte, seine akademischen Vorlesungen abzuhalten, machte ihn nicht eben anziehender. – In seinem Vater, dem Rektor von Eutin, dem Dichter der ›Luise‹, tat eine andere Zusammengesetztheit des Charakters sich hervor: es war die von Idyllik und Polemik. Die häuslich-gemütlichste Natur, gehegt und gepflegt von
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