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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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Arnimen strickt zu entschlagen.
    Was soll ich Ihnen weiter sagen? Ich hatte zu wählen zwischen diesem würdigen Mann, den alten Freunden des Vaterhauses, die mir ein Heim in der Fremde boten, und dem abenteuerlichen Glück einer verbotenen Freundschaft. Ich resignierte. An Arnimen schrieb ich, daß der Platz, den ich nach Geburt und eigener Überzeugung in den Parteiungen der Zeit einnähme, es mir verwehre, ihn wiederzusehen. Es war eine Knabenthräne, die das Papier dieses Briefes netzte, und sie zeigte mir, daß die Neigung, der ich nun absagte, einer Lebensepoche angehörte, der ich entwachsen war. Ich suchte und fand Entschädigung in der brüderlichen Verbindung mit Heinrichen, dem jüngeren Voß, über dessen Langweiligkeit und Lippenleiden mir die Gewißheit hinweghalf, daß seine Begeisterung für Vater rein von aller Verschmitztheit war.«
    {274} Charlotte ließ es sich angelegen sein, dem Erzähler für diese kleine Beichte zu danken und ihn ihrer Teilnahme zu versichern an einer Prüfung, die er, so dürfe man sagen, wie ein Mann bestanden habe. »Wie ein Mann«, wiederholte sie. »Es ist eine recht männliche Geschichte, die Sie mir da vertrauten, aus einer Männerwelt, will sagen einer Welt der Prinzipien und der Unerbittlichkeit, vor der wir anderen Frauen denn doch immer mit halb respektvollem, halb lächelndem Kopfschütteln stehen. Wir sind Kinder der Natur und der Toleranz im Vergleiche mit euch Gestrengen, und ich fürchte, wir kommen euch dessentwegen manchmal wie elbische Wesen vor. Ob nicht aber ein gut Teil der Anziehung, die unser armes Geschlecht auf euch ausübt, sich aus der Erholung vom Prinzipiellen erklärt, die ihr bei uns findet? Wenn wir euch sonst gefallen, pflegt euere Prinzipienstrenge ein Auge zuzudrücken, sie pflegt sich dann als wenig stichhaltig zu erweisen, und die Geschichte der Empfindsamkeit lehrt, daß alte Familien- und Ehrenzwiste, hergebrachte Gegnerschaft der Gesinnungen und so fort durchaus kein Hindernis bilden für unzerstörbar leidenschaftlichste Herzensbündnisse zwischen Kindern solcher Überlieferung, ja daß dergleichen Hindernisse dem Herzen gar noch ein Anreiz sind, ihnen ein Schnippchen zu schlagen und seine eigenen Wege zu gehen.«
    »Das mag es denn eben wohl sein«, sagte August, »wodurch die Liebe sich von der Freundschaft unterscheidet.«
    »Gewiß. Und nun lassen Sie mich fragen … Es ist eine mütterliche Frage. Sie haben mir von einer verhinderten Freundschaft berichtet. Geliebt – haben Sie niemals?«
    Der Kammerrat blickte zu Boden und wieder zu ihr auf.
    »Ich liebe«, sagte er leise.
    Charlotte schwieg mit dem Ausdruck von Bewegtheit.
    »Ihr Vertrauen«, sagte sie, »rührt mich ebenso sehr wie der Inhalt dieser Nachricht. Offenheit gegen Offenheit! Ich will {275} Ihnen gestehen, warum ich mich zu der Frage entschloß. August, Sie haben mir von Ihrem Leben erzählt, Ihrem so lobenswerten, so bevorzugten, so hingebungsvollen Sohnesleben, – wie Sie Ihrem lieben großen Vater ein so treuer Helfer sind, seine Wege machen, seine Schriften hüten, den Prellbock abgeben zwischen ihm und der Welt der Geschäfte. Sie sollen nicht glauben, daß ich, die schließlich auch weiß, was Opfer ist und Verzicht, ein solches Leben selbstlosen Liebesdienstes nicht sittlich zu schätzen wüßte. Und doch, daß ich's nur sage, waren die Gefühle, mit denen ich Ihnen zuhörte, nicht ganz ungemischt. Es schlich sich etwas wie Sorge, wie Aengstlichkeit und Unzufriedenheit zwischen sie hinein, ein Widerstreben wie man es gegen das nicht recht Natürliche, nicht recht Gottgewollte empfindet. Ich meine, Gott hat uns nicht geschaffen – er hat uns das Leben nicht gegeben, damit wir uns seiner entäußern und es in einem anderen, sei es auch das teuerste und erhabenste, gänzlich aufgehen lassen. Unser eigenes Leben sollen wir führen, – nicht in Selbstsucht und indem wir andere nur als Mittel dazu betrachten, aber doch auch nicht in Selbstlosigkeit, sondern selbständig und aus eigenem Sinn, in vernünftigem Ausgleich unserer Pflichten gegen andere und gegen uns selbst. Habe ich nicht recht? Es ist unserer Seele nicht – es ist nicht einmal durchaus unsrer Güte und Milde zuträglich, nur für andere zu leben. Gerade heraus, ich wäre glücklicher gewesen, wenn ich aus Ihren Mitteilungen einige Zeichen einer vorhabenden Emanzipation und Verselbständigung vom Vaterhause hätte ablesen können, wie sie Ihren Jahren wohl zukäme. Sie sollten einen eigenen

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