Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Ottiliens Reich wird, versteht sich, nicht auf sie beschränkt sein; sie wird auch in den darunter gelegenen Gesellschaftsräumen walten als Dame des Hauses. Daß das Haus wieder ein weibliches Oberhaupt – daß es endlich eine Herrin bekommt, ist ja nicht der letzte Gesichtspunkt, unter dem meine Heirat für begrüßenswert gilt.«
»Ich verstehe – und kann mich nur wundern, wie meine Gefühle schwanken. Eben noch war ich besorgt für den Vater und bin es auf einmal nun wieder für den Sohn. Meine Wünsche für diesen erfüllen sich auf eine Weise, die, ich will es nur gestehen, manches von einer Enttäuschung, von einer Nicht-Erfüllung hat – eben weil eine Beruhigung von wegen des Vaters damit verbunden ist. Ich bin nicht sicher, ob ich Sie recht verstand: Sie haben das Wort Ihrer Erkorenen?«
»Es ist«, erwiderte August, »einer der Fälle, in denen es der Worte am Ende nicht mehr bedarf.«
»Nicht einmal bedarf? Der Worte – der Worte. Sie entwerten, mein Freund, ein feierlich Ding, indem Sie es in die Mehrzahl versetzen. Das Wort, mein Lieber, das ist etwas anderes als Worte, das will gesprochen sein – und zwar nach reiflichster Überlegung, nach sorglichstem Zögern. Drum prüfe, wer sich ewig bindet. Sie lieben, Sie haben es mir alten Frau, die Ihre Mutter sein könnte, zu meiner tiefen Rührung gestanden. Daß Sie wiedergeliebt werden – ich zweifle nicht daran. Ihre angeborenen Verdienste bieten mir dafür das einleuchtendste Gewähr. Wonach ich mich aber mit einer gewissen mütterlichen Eifersucht frage, ist, ob Sie wahrhaft und nur um Ihrer eigen {279} sten Eigenschaften willen, ganz als Sie selbst geliebt werden. Als ich jung war, habe ich mich oft mit Schrecken in die Seele reicher und darum vielumworbener junger Mädchen versetzt, die zwar in der glücklichen Lage sind, nach Belieben unter des Landes Jünglingen zu wählen, aber niemals ganz sicher sein können, ob die Huldigungen, die sie empfangen, ihnen selbst oder ihrem Gelde gelten. Nehmen Sie irgend einen körperlichen Mangel, ein Schielen, ein Hinken, eine kleine Verwachsenheit hinzu, und Sie denken sich ganze Tragödien aus, die sich in der Seele eines solchen unselig gesegneten Geschöpfes abspielen – Tragödien des Schwankens zwischen der Sehnsucht zu glauben und nagendem Zweifel. Mir schauderte, wenn ich dran dachte, daß solche Wesen zu der Frivolität gelangen müssen, ihren Reichtum als persönliche Eigenschaft aufzufassen und sich zu sagen: Liebt er auch nur mein Geld, so ist dieses doch mein, und unabtrennbar von mir, es kommt für mein Hinken auf, und also liebt er mich trotz meinem Hinken … Ach, verzeihen Sie, dieses gedachte und unausdenkbare Dilemma ist eine alte fixe Idee, der ständige Angst- und Mitleidstraum meiner Mädchentage, sodaß ich noch heute mich in Geschwätzigkeit verliere, wenn ich drauf komme, – ich komme aber einzig darauf, weil Sie, lieber August, mir als der reiche Jüngling erscheinen, der zwar so glücklich ist, wählen zu können unter den Töchtern des Landes, aber auch allen Grund hat, zu prüfen, warum er gewählt wird: ob wahrhaft seinetwegen oder um hinzukommender Eigenschaften willen. Dieses Persönchen … sehen Sie mir die nonchalante Bezeichnung nach, es ist Ihre eigene anschauliche und bildhafte Beschreibung der Kleinen, die sie mir eingibt, diese bestimmt mich, sie ein Persönchen zu nennen, und daß Sie ihr Bild in eine gewisse töchterliche oder schwesterliche Beziehung zu meiner eigenen Person gebracht haben, gibt mir ja ein Anrecht auf nachlässige Redeweise, so als spräche ich von mir selbst … Verzeihen Sie, {280} ich werde gewahr, daß ich nicht ganz genau mehr weiß, was ich sage. Dieser Tag hat mir große geistige und gemütliche Anstrengungen gebracht – ich kann mich an seinesgleichen nicht erinnern. Was ich aber zu sagen angefangen, das muß ich zu Ende führen. Kurzum, dies Persönchen Ottilie, – liebt sie Sie wie Sie da sind, ohne Umstände, oder liebt sie Ihre Umstände, die die eines berühmten Sohnes sind, sodaß sie eigentlich den Vater liebte? Wie sorgsam geprüft will eine solche Sache sein, bevor man sich bindet! Mir, die ich Ihre Mutter sein könnte, liegt es ob – es ist meine Pflicht und Aufgabe, Sie auf die Bedenklichkeiten hinzuweisen. Denn auch des Persönchens Mutter könnte ich Ihrer Schilderung nach ja sein, und wenn in Goethe's Augen diese Verbindung die entschiedensten Aussichten eroeffnet, wie Sie sich ausdrückten oder wie er
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