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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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Vornehmheit. Sehen Sie, er hat nie mögen die Welt vor den Kopf stoßen und die ›Mehrzahl guter Menschen‹, wie er sich gnädig ausdrückt, verwirren. Aber insgeheim war er immer ein Anderer noch als der große Schickliche, als den das Oeffentliche ihn kannte – nicht artig und zugeständlich, sondern unglaublich frei und kühn. Ich muß Ihnen das sagen: die Leute sehen den Minister, den Höfling in ihm, und dabei ist er die Kühnheit selbst, – wie denn auch nicht? Hätte er den Werther, den Tasso, den Meister und all das Neue und Ungeahnte riskiert, ohne den Grundzug, die Liebe und Kraft zum Verwegenen, von der ich ihn mehr als einmal habe sagen hören, in ihnen recht eigentlich bestehe, was man Talent nenne. Immer hatte er ein geheimes Archiv wunderlicher Produktionen: früher lagen da die Anfänge des Faust mit Hanswurstens Hochzeit und dem Ewigen Juden zusammen, aber auch heute fehlt's nicht an solchem Walpurgis-Beutel, verwegen-anstößig in mancherlei Hinsicht, wie zum Exempel ein gewisses Tagebuch-Gedicht, das ich behüte, nach italienischem Muster geschrieben und hübsch gewagt in seiner Mischung aus erotischer Moral und, mit Verlaub gesagt, Obszönität. Ich hüte das alles mit Sorgfalt, die Nachwelt kann sich darauf verlassen, daß ich Acht habe auf alles – an mich muß sie sich wohl halten, denn auf Vater selbst ist da wenig Verlaß. Sein {265} Leichtsinn mit Manuskripten ist sträflich, es ist als habe er garnichts dagegen, daß sie verloren gingen, er gibt sie dem Zufall preis und schickt, wenn ich's nicht verhindere, das einzig vorhandene Exemplar nach Stuttgart. Da heißt es acht geben und zusammenhalten: das Unveröffentlichte, nicht zu Veröffentlichende, die freien Heimlichkeiten, die Wahrheiten über seine lieben Deutschen, das Polemische, die Diatriben wider geistige Feinde und wider das zeitlich Närrische in Politik, Religion und Künsten …«
    »Ein treuer, ein guter Sohn«, sagte Charlotte. »Ich habe mich auf Ihre Bekanntschaft gefreut, lieber August, – ich hatte mehr Grund dazu, als ich wußte. Die Mutter, die alte Frau, die ich bin, muß aufs angenehmste berührt sein von dieser schönen, fürsorglichen Ergebenheit der Jugend ans Väterliche, diesem unverbrüchlichen Zusammenstehen mit ihm gegen das respektlos Nachrückende, das ihres Alters ist. Man kann dafür nichts als Lob und Dank haben …«
    »Ich verdiene sie nicht«, erwiderte der Kammer-Rat. »Was kann ich meinem Vater sein? Ich bin ein aufs Praktische gestellter Durchschnittsmensch und bei Weitem nicht geistreich und gelehrt genug, ihn zu unterhalten. Tatsächlich bin ich nicht viel mit ihm zusammen. Mich innerlich zu ihm zu bekennen und seine Interessen zu wahren, ist das Wenigste, was ich tun kann, und es beschämt mich, dafür Lob zu empfangen. Auch unsere teuere Frau von Schiller ist immer beschämend gut und liebevoll zu mir, weil ich in der Literatur einer Meinung mit ihr bin, – als sei ein Verdienst dabei, als sei es nicht einfach eine Sache des eigenen Stolzes, daß ich treu bei Schiller und Goethe bleibe, da andere junge Leute sich in neueren Moden gefallen mögen.«
    »Weiß ich doch«, versetzte Charlotte, »kaum etwas von diesen neueren Moden und nehme an, daß meine Jahre mich vom Verständnis dafür ausschließen würden. Es soll da fromme {266} Maler und skurrile Schriftsteller geben, – genug, ich kenne sie nicht und sorge mich nicht ob dieser Unkenntnis, denn daß ihre Anerbietungen den Werken nicht gleichkommen, die zu meiner Zeit entstanden und die Welt eroberten, ist mir gewiß. Immerhin ließe sich sagen, daß sie das große Alte nicht zu erreichen brauchen, um es in gewissem Sinn dennoch zu übertreffen – verstehen Sie mich recht, ich bin nicht die Frau, Paradoxe zu machen, ich meine das Übertreffen einfach so, daß diese neuen Dinge Zeit und Gegenwart für sich haben, deren Ausdruck sie sind, sodaß sie den Kindern der Zeit, der Jugend, unmittelbarer und beglückender zum Herzen sprechen. Aufs Glücklichsein aber schließlich kommt's an.«
    »Und darauf«, antwortete August, »worin man es findet, das Glück. Etliche suchen und finden es nur im Stolze, in der Treue und Pflicht.«
    »Gut, vortrefflich. Und doch hat die Erfahrung mich gelehrt, daß ein Leben der Pflicht und des Dienstes an anderen öfters eine gewisse Herbigkeit zeitigt und der Leutseligkeit nicht zuträglich ist. – Mit Frau von Schiller verbindet Sie, wie es scheint, ein Verhältnis der Freundschaft und des

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