Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Hausstand begründen, sollten heiraten, August.«
»Ich gedenke in den Stand der Ehe zu treten«, sagte der Kammerrat mit einer Verbeugung.
»Vortrefflich!« rief sie. »Ich rede mit einem Bräutigam?«
»Das ist vielleicht zuviel gesagt. Wenigstens ist die Sache noch nicht publique.«
{276} »Ich bin jedenfalls hocherfreut – und sollte Ihnen böse sein, daß Sie mir erst jetzt Gelegenheit geben, meine Glückwünsche anzubringen. Ich darf wissen, wer die Erwählte ist?«
»Ein Fräulein von Pogwisch.«
»Mit Vornamen –?«
»Ottilie.«
»Wie reizend! Es ist wie im Roman. Und ich bin dazu die Tante Charlotte.«
»Sagen Sie nicht Tante; sie könnte Ihre Tochter sein«, erwiderte August, wobei der Blick, mit dem er sie betrachtete, nicht nur starr, sondern eigentümlich glasig wurde.
Sie erschrak und errötete. »Meine Tochter … Was fällt Ihnen ein!« stammelte sie, von einem Gefühl der Spukhaftigkeit angerührt bei der Wiederkehr dieses Wortes und dem Blick, der es begleitete, und der den Eindruck machte, als sei es ohne Willen und Bewußtsein, aus der Tiefe gesprochen worden.
»Aber ja!« beteuerte er, indem er sich in heitere Bewegung setzte. »Ich scherze nicht oder nur wenig, ich spreche übrigens nicht von Aehnlichkeit, die wäre freilich mysteriös, sondern von Verwandtschaft, und die kommt in der Welt millionenfach vor. Offenkundig, Frau Hofrätin, gehören Sie zu den Personen, deren Grundbilde die Jahre wenig anhaben können, die sich in der Zeit wenig verändern oder richtiger, deren reifere Erscheinung für Ihr Jugendbild besonders durchsichtig bleibt. Ich bin nicht so dreist, Ihnen zu sagen, daß Sie aussehen wie ein junges Mädchen, aber man muß nicht das zweite Gesicht haben, um durch die Hülle der Würde ganz leicht des jungen Mädchens, beinahe des Schulmädels gewahr zu werden, das Sie einst waren, und alles, was ich behaupte, ist, daß dieses junge Mädchen Ottiliens Schwester sein könnte, woraus denn mit mathematischer Schlüssigkeit folgt oder vielmehr: womit zusammenfällt, was ich behauptete, nämlich, daß sie – Ihre Tochter sein könnte. Was ist Aehnlichkeit! Ich behaupte keine Gleichheit {277} der Einzelzüge, sondern die Schwesterlichkeit der Gesamterscheinung, die Identität des Typus, dies allem Junonischen Ferne, dies Leichte, Liebliche, Zierliche, Zärtliche, – das ist es, was ich das Schwesterliche, das Töchterliche nenne.«
War es eine Art von Nachahmung, von Ansteckung? Charlotte sah den jungen Goethe mit demselben starr gewordenen und etwas gläsernen Blicke an, den er vorhin auf sie gerichtet hatte.
»Von Pogwisch – von Pogwisch –« wiederholte sie mechanisch. Und dann fiel ihr ein, daß sie über Charakter und Herkunft des Namens nachgedacht haben könnte. »Das ist preußischer Adel, Schwertadel, Offiziersadel, nichtwahr?« fragte sie. »Diese Verbindung wird also etwas sein wie die von Leyer und Schwert. Ich achte den Geist des preußisch-militärischen Menschenschlages aufrichtig. Wenn ich sage: Geist, so meine ich Gesinnung, Zucht, Ehrliebe, Vaterlandsliebe. Wir verdanken diesen Eigenschaften unsere Befreiung vom Joch der Fremden. In diesem Geist, dieser Überlieferung ist Ihre Verlobte – wenn ich ihr diesen Namen denn geben darf – also aufgewachsen. Ich überlege, daß sie unter diesen Umständen nicht gerade eine Bewunderin des Rheinbundes, eine Anhängerin Bonapartes sein wird.«
»Diese Fragen«, erwiderte August ablehnend, »sind ja durch den Gang der Geschichte überholt und beigelegt.«
»Gottlob!« sagte sie. »Und die Verbindung erfreut sich der Gönnerschaft, der väterlichen Zustimmung Goethe's?«
»Vollkommen. Er ist der Meinung, daß sie die entschiedensten Aussichten eröffnet.«
»Aber er wird Sie verlieren – oder doch viel von Ihnen. Erinnern Sie sich, ich habe Ihnen die eigene Lebensgründung eben noch selber angeraten! Wenn ich mich nun aber in meinen alten Jugendfreund, unsern teueren Geheimen Rat versetze – er wird des vertrauten Helfers, des trefflichen Kommissionärs verlustig gehen, wenn Sie das Haus verlassen.«
{278} »Es ist an nichts dergleichen gedacht«, erwiderte August, »und nichts, zu Ihrer Beruhigung sei es gesagt, wird sich zum Nachteil meines Vaters verändern. Er verliert den Sohn nicht, indem er eine Tochter gewinnt. Es ist vorgesehen, daß wir die bisherigen Gastzimmer droben im zweiten Obergeschoß beziehen, – es sind allerliebste Stuben mit dem Blick auf den Frauenplan. Aber
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