Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
als brav weh, wenn ich ihn hintüberlege. Immer denkt man, die gute Nacht wirds bessern, aber es hat der Schlaf die alte Heilkraft nicht mehr, muß es wohl bleiben lassen. Und das Ekzem am Schenkel? Meldet sich auch zur Stelle mit gehorsamstem Guten Morgen. Weder Haut noch Gelenke wollen mehr mittun. Ach, ich sehn mich nach Tennstädt zurück ins Schwefelwasser. Früher sehnt ich mich nach Italien, jetzt in die heiße Brühe, daß sie die verhärtenden Glieder löse; so modifiziert das Alter die Wünsche und bringt uns herunter. Es muß der Mensch wieder ruiniert werden. Ist aber doch ein groß, wunderbar Ding um diesen Ruin und um das Alter und eine lächelnde Erfindung der ewigen Güte, daß der Mensch sich in seinen Zuständen behagt und sie selbst ihn sich zurichten, daß er einsinnig mit ihnen und so der Ihre wie sie die Seinen. Du wirst alt, so wirst du ein Alter und siehst allenfalls mit Wohlwollen, aber geringschätzig auf die Jugend herab, das Spatzenvolk. Möchtest du wieder jung und der Spatz sein von dazumal? Schrieb den Werther, der Spatz, mit lächerlicher Fixigkeit, und das war denn was, freilich, für seine Jahre. Aber leben und alt werden danach, das ist es erst, da liegt der Spielmann begraben. All Heroismus liegt in der Ausdauer, im Willen zu leben und nicht zu sterben, das ist's, und Größe ist nur beim Alter. Ein Junge kann ein Genie sein, aber nicht groß. Größe ist erst bei der Macht, dem Dauergewicht und dem Geist des Alters. Macht und Geist, das ist das Alter und ist die Größe – und die Liebe ist's auch erst! Was ist Jugendliebe gegen die geistige Liebesmacht des Alters? Was für ein Spatzenfest ist das, die Liebe der Jugend zur Jugend, gegen die schwindlichte {293} Schmeichelei, die holde Jugend erfährt, wenn Altersgröße sie liebend erwählt und erhebt, mit gewaltigem Geistesgefühl ihre Zartheit ziert – gegen das rosige Glück, worin lebensversichert das große Alter prangt, wenn Jugend sie liebt? Sei bedankt, ewige Güte! Alles wird immer schöner, bewußter, bedeutender, mächtiger und feierlicher. Und so fortan!
Das heiße ich sich wiederherstellen. Schaffts der Schlaf nicht mehr, so schaffts der Gedanke. Schellen wir also nun dem Karl, daß er den Kaffee bringt; ehe man sich erwärmt und belebt, ist gar der Tag nicht einzuschätzen und nicht zu sagen, wies heut um den Guten steht und was er wird leisten mögen. Vorhin war mir, als wollt ich marode machen, im Bette bleiben und alles sein lassen. Das hatte der Pfaff gemacht, und daß sie meinen Namen nicht wollen dulden in der Geschichte der Physik. Hat sich aber wieder auf die Beine zu bringen gewußt, die liebe Seele, und der Labetrank mag ein Übriges thun … Das denk ich jeden Morgen beim Schellen, daß der vergoldete Griff vom Glockenzug garnicht hierher paßt. Wunderlich Stückchen Prunk, gehört eher nach vorn in den Weltempfang, als ins klösterlich Geistige hier, ins Reservat des Schlafs und die Hamsterhöhle der Sorge. Gut, daß ich die Stuben hier einrichten ließ, das stille und karge, das ernste Reich. Auch gegen die Kleine wars gut, daß sie sähe: nicht nur für sie und die Ihren war das Hinterhaus recht als retiro, sondern auch für mich selbst, wiewohl aus anderen Gründen. Das war – laß sehen – Sommer vierundneunzig, zwei Jahre nach dem Wiedereinzug in das geschenkte Haus und dem Umbau. War die Epoque der Beiträge zur Optik, – o, mille excuses, ihr Herrn von der Gilde, – zur Chromatik natürlich nur allenfalls, denn wie sollte wohl Einer sich an die Optik wagen, der nicht in der Meßkunst beschlagen, und sollte sich unterfangen, Newtonen zu widersprechen, dem falschen, kaptiosen, dem Lügenmeister und Schutzherrn des Schulirrtums, dem Verleumder des Himmels {294} lichts, der da wollte, daß sich das Reinste aus lauter Trübnissen, das Hellste aus Elementen zusammensetze, die dunkler allsamt als es selber. Der schlechte Narr, der hartstirnige Irrlehrer und Weltverdunkeler! Man darf nicht müde werden, ihn zu verfolgen. Da ich das trübe Mittel begriffen, und daß das Durchsichtigste selbst schon des Trüben erster Grad, da ich erfunden, daß Farbe gemäßigt Licht, da hatt ich die Farbenlehre am Schnürchen, der Grund- und Eckstein war da gesetzt, und konnt auch das Spektrum mir keine Pein mehr machen. Alsob es kein trübes Mittel wäre, das Prisma! Weißt du noch, wie du das Ding vor die Augen nahmst im geweißten Zimmer und die Wand, der Lehre entgegen, weiß blieb wie eh und je, wie auch
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