Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
der lichtgraue Himmel draußen nicht eine Spur von Färbung zeigte und nur wo ein Dunkles ans Helle stieß, Farbe entsprang, sodaß das Fensterkreuz am allerlustigsten bunt erschien? Da hatt ich den Schuft und sprachs zum ersten Mal vor mich hin mit den Lippen: Die Lehre ist falsch! und es bewegten sich mir vor Freude die Eingeweide, wie damals, als sich mir klar und unverleugbar, nicht anders als ichs in gutem Einvernehmen mit der Natur zuvorgewußt, das Zwischenknöchlein kundthat für die Schneidezähne im Kiefer des Menschen. Sie wolltens nicht wahrhaben und wolltens aber nicht wahrhaben jetzt mit den Farben. Glückliche, peinliche, bittere Zeit. Man machte sich lästig, wahrhaftig, man spielte den insistierenden Quaerulanten. Hattest du nicht gezeigt mit dem Knöchlein und der Metamorphose der Pflanzen, daß Natur dir's nicht abschlug, den einen und anderen Blick in ihre Werkstatt zu tun? Aber sie wollten dir den Beruf zu der Sache nicht glauben, sie zogen abgeneigte Gesichter, sie ruckten die Schultern, wurden verdrießlich. Du warst ein Störenfried. Und du wirsts bleiben. Sie lassen dich alle grüßen und hassen dich bis in den Tod. Nur die Fürsten, das war ein anderes. Soll ihnen unvergessen sein, wie sie meine neue Passion respektierten und förderten. {295} Des Herzogs Hoheit, so brav wie immer, – gleich bot er Raum und Muße, mein Aperçu zu verfolgen. Die beiden Gothaer, Ernst und August, – der Eine ließ mich in seinem physikalischen Kabinett laborieren, der andere verschrieb mir aus England die schönen, zusammengesetzten, die achromatischen Prismen. Herren, Herren. Die Schulfüchse wiesen mich ab wie einen Pfuscher und Quengler, aber der Fürst Primas in Erfurt hat all mein Experimentieren mit der gnädigsten Neugier verfolgt und den Aufsatz damals, den ich ihm schickte, mit eigenhändigen Randbemerkungen beehrt. Das macht, sie haben Sinn für Dilettantism, die Herren. Liebhaberei ist nobel und, wer vornehm, ein Liebhaber. Dagegen gemein ist alles, was Gilde und Fach und Berufsstand. Dilettantism! Über euch Philister! Ahndete euchs wohl je, daß Dilettantism ganz nah verwandt dem Dämonischen und dem Genie, weil er ungebunden ist und geschaffen, ein Ding zu sehen mit frischem Aug, das Objekt in seiner Reinheit, wies ist, nicht aber, wie Herkommen will, daß mans sehe, und nicht wie der Troß es sieht, der von den Dingen, den physischen und den moralischen, immer nur ein Bild hat aus zweiter Hand? Weil ich von der Poesie zu den Künsten kam und von denen zur Wissenschaft und mir bald Baukunst und Bildhauerkunst und Mahlerey war wie Mineralogie, Botanik und Zoologie, so soll ich ein Dilettant sein. Laß dirs gefallen! Als Junge hab ich dem Straßburger Münster abgesehen, daß dem Turm eine fünfspitzige Krönung zugedacht war, und der Riß hats bestätigt. Der Natur aber soll ichs nicht abmerken? Alsobs nicht Alleines wäre, das Alles; alsob nicht nur der was davon verstünde, der Einheit hat, und die Natur sich nicht dem nur vertraute, der selber eine Natur …
Die Fürsten – und Schiller. Denn der war ein Edelmann auch, von Kopf bis zu Füßen, ob er es gleich mit der Freiheit hielt, und hatte die Natürlichkeit des Genies, ob er der Natur gleich ärgerlich-sträflichen Hochmut erwies. Ja, der nahm teil und {296} glaubte und trieb mich an, wie immer mit seiner reflektierenden Kraft, und als ich ihm nur den ersten Entwurf sandte zur Geschichte der Farbenlehre, da hat er mit großem Blick das Symbol einer Geschichte der Wissenschaften, den Roman des menschlichen Denkens darin erkannt, der draus wurde in achtzehn Jahren. Ach, ach, der hat was gemerkt, der hat was verstanden. Weil er den Rang hatte, das Auge, den Flug. Wär der noch, er risse mich hin, den Kosmos zu schreiben, die umfassende Geschichte der Natur, die ich schreiben müßte, auf die's mit der Geologie bei mir von jeher hinauswollte. Wer kanns denn als ich? Das sag ich von allem und kann doch nicht alles tun – unter Verhältnissen, die mir die Existenz machen und sie mir rauben zugleich. Zeit, Zeit, gib mir Zeit, gute Mutter, und ich tu alles. Als ich jung war, sagte mir Einer: Du gibst dir die Miene auch, als sollten wir hundertundzwanzig Jahre alt werden. Gib sie mir, gute Natur, gib mir so wenig nur von der Zeit, über die du verfügst, gemächliche, und ich nehm allen andern die Arbeit ab, die du getan sehen möchtest und die ich am besten mache …
Zweiundzwanzig Jahre hab ich die Stuben, und nichts hat sich bewegt
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