Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
lebe, die blau-tiefen, sanften und kühnen, die Erlöser-Augen … Christus und Spekulant. War ich voller Mißtrauen! Merkte: er wollte mich exploitieren. Schrieb mir den erzgescheiten Brief, um den »Meister« für die »Horen« zu kriegen, die er darauf gegründet, wo du doch, Lunte riechend, heimlich schon mit Unger zum Abschluß gekommen. Und dann insistierte er wegen Faust für die Horen und für Cotta, ärgerlichst, – da er doch ganz allein unter allen begriff, um was es ging bei dem objek {288} tiven Stil seit Italien, wissen mußte, daß ich ein andrer und der Lehm trocken geworden. Lästig, lästig. War hinter mir her und urgierte, weil er keine Zeit hatte. Aber nur die Zeit bringts heran. Zeit muß man haben. Zeit ist Gnade, unheroisch und gütig, wenn man sie nur ehrt und sie emsig erfüllt; sie besorgt es im Stillen, sie bringt die dämonische Intervention … Ich harre, mich umkreist die Zeit. Thäte aber das Ihre allenfalls schneller, wär er noch da. Ja, mit wem sprech ich über Faust, seitdem der Mann aus der Zeit ist? Er wußte alle Sorgen, die ganze Unmöglichkeit und die Mittel und Wege wohl auch, – unendlich geistreich und duldsam-frei, voll kühnen Einverständnisses den großen Spaß betreffend und die Emanzipation vom nicht-poetischen Ernst, da er mich nach Helena's Auftritt tröstlich bedeutete, aus der Cohobierung des Spuks und der Fratze zum Griechisch-Schönen und zur Tragödie, der Verbindung des Reinen und des Abenteuerlichen möchte wohl ein nicht ganz verwerflicher poetischer Tragelaph entstehen. Er hat Helena noch gesehen, hat ihre ersten Trimeter noch gehört und seinen großen und vornehmen Eindruck bekundet, das soll mich stärken. Er hat sie gekannt, wie Chiron, der Rastlose, den ich nach ihr fragen will. Er hat gelächelt beim Zuhören, wie ichs fertig gebracht, jedes Wort mit antikischem Geist zu durchtränken … »Vieles erlebt ich, obgleich die Locke – Jugendlich wallet mir um die Schläfe! – – Durch das umwölkte, staubende Tosen – Drängender Krieger hört ich die Götter – Fürchterlich rufen, hört ich der Zwietracht – Eherne Stimme schallen durchs Feld – Mauerwärts!« Da lächelte er und nickte: »Vortrefflich!« Das ist sanktioniert, darüber bin ich beruhigt, das soll unangetastet sein, er hats vortrefflich gefunden – und hat gelächelt, sodaß ich auch lächeln mußte und mein Lesen zum Lächeln wurde. Nein, auch darin war er nicht deutsch, daß er lächelte über das Vortreffliche. Das tut kein Deutscher. Die schauen grimmig drein dabei, weil sie nicht wissen, daß Kultur {289} Parodie ist – Liebe und Parodie … Er nickte und lächelte auch, als der Chor Phöbos »den Kenner« nannte. »Doch tritt immer hervor; Denn das Häßliche Sieht er nicht, Wie sein heiliges Aug Niemals den Schatten sieht.« Das gefiel ihm, darin erkannt er sich, fand es auf sich gemünzt. Und dann wandte er ein und tadelte, es sei nicht recht gesagt, daß Scham und Schönheit nie zusammen, Hand in Hand, den Weg verfolgen: Schönheit sei schamhaft. Sagt ich: Warum sollte sie? Sagt er: Im Bewußtsein, daß sie, dem Geistigen entgegen, das sie repräsentiert, Begierde erregt. Sag ich: Soll die Begierde sich schämen; aber die tut's auch nicht, im Bewußtsein vermutlich, daß sie das Verlangen nach dem Geistigen repräsentiert. Hat er mitgelacht. Es lacht sich mit niemandem mehr. Hat mich dahier gelassen in dem Vertrauen, daß ich den Weg ins Holz schon wissen, den bindenden Reif schon finden würde für die Totalität der Materie, die das Unternehmen erfordert. Sah der alles. Sah auch, daß der Faust ins thätige Leben geführt werden muß – leichter gesagt, als getan, aber wenn Sie dachten, mein Bester, das sei mir neu –. Hab ich ihn doch gleich damals, als alles noch ganz dumpf und kindisch-trübe war, beim Lutherwerk statt »Wort«, »Sinn« und »Kraft« übersetzen lassen: »die That«.
Dunque! Dunque! Was ist heute zu thun? Ermanne dich zu fröhlichem Geschäft! Sich zur Tätigkeit erheben, Nach der Ruhe sanftem Schatten, Wieder in das rasche Leben Und zur Pflicht, o welche Lust! Kling-klang. Das ist der »kleine Faust«, – die Zauberflöte, wo Homunculus und der Sohn noch Eines sind im leuchtenden Kästchen … Was gab es also, was fordert der Tag? O Tod, es ist ja das Gutachten über den Isis-Skandal, die widrigste Kalamität, für Serenissimum abzufassen. Wie man vergißt dort unten! Nun kommt der Tag-Spuk wieder herauf, das ganze
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