Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
noch.«
»Du hast recht, ich habe mich nicht ganz gehörig ausge {299} drückt. Aber das Gewicht lag auf ›Vorrat‹. ›Einige Tage‹, das ist kein Vorrat.«
»Ist es auch nicht, Ew. Excellenz. Oder doch nur ein beinahe erschöpfter Vorrat.«
»Ja, siehst du? Mit anderen Worten: für einen Vorrat reicht es nicht mehr.«
»Genau so, Ew. Excellenz. Ew. Excellenz wissen es eben schließlich doch am besten.«
»Ja, ganz zuletzt wird es wohl meistens darauf hinauslaufen. Aber ein Vorrat, der zu Ende geht, und bei dem man den Boden sieht, das hat was Schreckhaftes, dazu darf man es garnicht kommen lassen. Man muß vorsorgen, damit man nicht aufhört, aus dem Vollen zu schöpfen. Vorsorgen ist überall so wichtig.«
»Da haben Ew. Excellenz ein wahres Wort gesprochen.«
»Freut mich, daß wir konsentieren. Und also müssen wir an die Frau Schöffin Schlosser in Frankfurt schreiben, daß sie neue schickt, einen derben Kasten voll, ich bin ja postfrei. Vergiß nicht, mich an den notwendigen Brief zu erinnern. Ich genieße diese Offenbacher sehr gern. Sind eigentlich das Einzige, was mir um diese Stunde schmeckt. Weißt du, frische Zwiebacken sind schmeichelhaft für alte Leute, denn sie sind rösch, und rösch ist hart, aber spröde und beißt sich leicht, und so hat man die Illusion, mit Leichtigkeit Hartes zu beißen wie die liebe Jugend.«
»Aber Ew. Excellenz, solche Illusionen haben Ew. Excellenz doch wahrhaftig nicht nötig. Wenn Einer noch aus dem Vollen schöpft, dann, mit Verlaub, doch wohl Ew. Excellenz.«
»Ja, das sagst du so. – Ah, das hast du gut gemacht, kommt gar holde Luft herein, Morgenluft, süß und jungfräulich, wie das einen lieblich zutraulich umfächelt. Ist doch himmlisch jedesmal wieder aufs neue, die Verjüngung der Welt aus der Nacht für uns alle, für Alt und Jung. Da sagt man immer, daß Jugend {300} nur zu Jugend gehöre, aber die junge Natur kommt ganz unbefangen zum Alter auch: Kannst du dich freuen, so bin ich dein, und dein mehr, als der Jugend. Denn die hat ja gar für die Jugend den rechten Sinn nicht, den hat nur das Alter. Wär ja auch schauerlich, wenn nur das Alter zum Alter käme. Soll für sich bleiben, soll außen bleiben … Wie sieht der Tag denn aus? Eher dunkel?«
»Eher ein bischen dunkel, Ew. Excellenz. Die Sonne ist bedeckt, und weiter oben haben wir auch nur hie und da ein Stückchen –«
»Warte einmal. Geh erst hinüber und sieh nach dem Barometer und nach dem Thermometer außen vorm Fenster. Aber mach deine Augen auf.«
»Gleich, Ew. Excellenz. – – Es hat 722 Millimeter Barometerstand, Ew. Excellenz, und 13 Grad Réaumur Außentemperatur.«
»Sieh mal an. Dann kann ich mir die Troposphäre schon denken. Ziemlich feucht dünkt das Windchen mich auch, wie's hereinkommt, West-Süd-West, nehm' ich an, und der Arm spricht sein Wörtchen desgleichen. Wolkenmenge fünf oder sechs, die grauliche Nebel-Bedeckung mag früh gar sehr nach Niederschlag ausgesehn haben, aber jetzt hat der Wind sich lebhafter erhoben, wie auch die Wolken zeigen, die ziemlich schnell aus Nordwest ziehen, wie gestern Abend, und ist im Begriff, die Decke zu zerreißen, sie flüchtig fortzutreiben. Es sind langgezogene Kumulus, Haufenwolken in der untern Region, stimmt das? und höher stehen leichte Zirri und Windbäume und Besenstriche bei stellenweise durchblickendem Himmelsblau – entspricht's ungefähr?«
»Entspricht ausgezeichnet, Ew. Excellenz. Die Besenstriche oben erkenn' ich aufs Wort – so hingefegt.«
»Ich vermute nämlich, der obere Wind geht aus Ost, und auch wenn der untere im Westen bleibt, werden die Kumulus {301} allmählich aufgelöst werden, wie sie sich vorwärts bewegen, und statt dessen wird es die schönsten Schäfchen streifen- und reihenweis geben. Kann sein, daß wir mittags reinen Himmel haben, der sich aber nach Tisch wieder trüben kann. Es ist ein wankelmütiger, ungewisser Tag von widersprechenden Tendenzen … Siehst du, das muß ich noch vollkommen lernen, nach dem Barometerstand die Wolkengestalt zu beurteilen. Früher hat man sich für diese oberen Beweglichkeiten garnicht recht interessiert, aber jetzt hat ein gelehrter Mann ein ganzes Buch drüber geschrieben und eine hübsche Nomenklatur aufgestellt, – ich hab' auch was dazu beigetragen: die paries, die Wolkenwand, die hab' ich namhaft gemacht, und so mögen wir das Unbeständige anreden und ihm auf den Kopf zusagen, zu welcher Klasse und Art es gehört. Denn das ist des
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