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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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eigene Herzenswunsch und redlichste Vorsatz? Nahmst du die äußeren Hindernisse zum Vorwand und spieltest den Groller im Zelte? Er, er wäre imstande gewesen, starb ich vor ihm, den Faust zu vollenden. – Um Gottes willen! Man hätte testamentarische Vorkehrungen treffen müssen! – Aber ein bitterster Schmerz war es eben doch und bleibt's, ein schlimmes Versagen, eine abscheuliche Niederlage. – Allworüber denn auch der ausdauernde Freund sich beschämt zur Ruhe begeben.
    Was ist die Uhr? Erwacht ich in die Nacht? Nein, vom Garten blinzelt es schon durch den Laden. Es wird sieben Uhr sein oder nicht weit davon, nach Ordnung und Vorsatz, und kein Dämon wischte das schöne Tableau hinweg, sondern mein eigener Sieben Uhr-Wille war's, der zur Sache rief und zum Tagesgeschäft, – wachsam geblieben dort unten im nährenden Tal, wie der wohlgezogene Jagdhund, der so groß und fremd-verständig {286} auf Venus' Verliebtheit blickte. Achtung, das ist, wie er leibt und lebt, der Hund des Gotthardus, der für den siechen Sankt Rochus das Brot wegschnappt vom Tisch seines Herrn. Die Bauernregeln sind heute einzutragen ins Rochus-Fest. Wo ist das Taschenbuch? Links im Fach vom Schreibsekretär. Trockner April ist nicht des Bauern Will'. Wenn die Grasmücke singt, ehe der Weinstock sproßt – ein Gedicht. Und die Hechtsleber. Ist ja Eingeweideschau urältesten Schrotes und Kornes. Ach, das Volk. Erbreich-traulich-heidnisch Naturelement, nährendes Tal des Unbewußten und der Verjüngung! Mit ihm zu sein, umschlossen von ihm beim Vogelschießen und Brunnenfest oder wie damals zu Bingen am langen, geschirmten Tisch beim Wein, im Dunst des schmorenden Fetts, des frischen Brotes, der auf glühender Asche bratenden Würste! Wie sie den verlaufenen Dachs, den blutenden, unbarmherzig erwürgten am allerchristlichsten Fest! Im Bewußten kann der Mensch nicht lange verharren; er muß sich zuweilen wieder ins Unbewußte flüchten, denn darin lebt seine Wurzel. Maxime. Davon wußte der Selige nichts und wollte nichts davon wissen, – der stolze Kranke, der Aristokrat des Geistes und der Bewußtheit, der große, rührende Narr der Freiheit, den sie darum, absurd genug, für einen Volksmann halten (und mich für den vornehmen Knecht), da er doch vom Volke rein nichts verstand und auch von Deutschheit nichts – nun, dafür liebt ich ihn, ist mit den Deutschen ja nicht zu leben, sei es in Sieg oder Niederlage – sondern in zarter, hochkränklicher Reine, spröde dagegenstand, unfähig unterzutauchen, immer vielmehr nur in Sanftmut gemeint, das Geringe als Seinesgleichen zu nehmen, es zu sich und zum Geiste emporzusteigern auf Heilandsarmen. Ja, Er hatte viel von Ihm, auf den ich mich verstehen will in der Kantate, – und ambitionierte auch noch auf den erfinderischen Geschäftsmann in kindlicher Großheit. Kindlich? Nun, er war Mann gar sehr, Mann im Übermaß und bis zur Unnatur, denn {287} das rein Männliche, Geist, Freiheit, Wille, ist Unnatur, da er denn vor dem Weiblichen einfach albern war: seine Weiber sind ja zum Lachen, – und dabei das Sinnliche als anstachelnde Grausamkeit. Schrecklich, schrecklich und unausstehlich! Und ein Talent in alldem, eine hochfliegende Kühnheit, ein Wissen ums Gute, weit über alles Gesinde und Gesindel hinaus, einzig ebenbürtig, einzig verwandt, – ich werde nicht Seinesgleichen sehen. Der Geschmack im Geschmacklosen, die Sicherheit im Schönen, die stolze Präsenz aller Fähigkeiten, Fazilität und Fertigkeit des Sprechens, unbegreiflich unabhängig von jedem Befinden, der Freiheit zu Ehren, – verstehend aufs halbe Wort und antwortend mit äußerster Klugheit, dich zu dir selber rufend, dich über dich selbst belehrend, immer sich vergleichend, sich kritisch behauptend, lästig genug: der spekulative, der intuitive Geist, weiß schon, weiß schon, sind sie nur beide genialisch, so werden sie sich auf halbem Wege – Weiß schon, darauf kams an, daß auch der Naturlose, der Nichts-als-Mann, ein Genie sein könne, daß Er eines sei und an meine Seite gehöre, – auf den großen Platz kams an und die Ebenbürtigkeit und auch darauf, aus der Armut herauszukommen und sich ein Jahr für jedes Drama leisten zu können. Unangenehmer, diplomatisierender Streber. Mocht ich ihn jemals? Nie. Mochte den Storchengang nicht, das Rötliche, die Sommersprossen, die kranken Backen, nicht den krummen Rücken, den verschnupften Haken der Nase. Aber die Augen vergeß ich nicht, solang ich

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