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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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Nachsicht. Was sag' ich – Anspruch! Welchen Anspruch hätt' ich! Aber die Hoffnung auf solche Nachsicht wag' ich submissest zu bekunden. Ist ja mit jener Wandlung und Bekehrung der Verzicht auf manche weit größere, wenn auch unreife und knäbische Hoffnung und Gläubigkeit verbunden, die zwar Schmerzen und Zorn mit sich brachte, zwar den Menschen in leidenden Widerstreit zum wirklichen Leben versetzte, aber doch auch seine Seele tröstete und trug, und sie zum Einklang mit höhern Wirklichkeiten stimmte. Dem Schwärmerglauben zu entsagen an eine revolutionäre Reinigung der Nationen, an eine zur Freiheit und zum Rechte geläuterte Menschheit, kurz an ein Reich des Glückes und Friedens auf Erden unter dem Szepter der Vernunft, – sich in die harte, wenn auch wohl stählende Wahrheit zu finden, daß immer und ewig der Drang der Kräfte ungerecht und blindlings hin und wider wogen und erbarmungslos die eine der andern Übermacht betätigen wird, – das ist nicht leicht, das stürzt in bitteren und ängstigenden innern Widerstreit, und wenn bei so beschaffnen Umständen, in solchen Wachstumsnöten der junge Mensch einmal bei der Kümmel-Bouteille Erheiterung sucht oder seine abgemüdeten Gedanken in den Rauch der Tobackspfeife wohltätig einzuhüllen trachtet, – sollte er nicht bei Oberen, deren gewaltige Autorität nicht ohne Anteil ist an solchen Umwälzungen, auf einiges milde Nachsehen rechnen dürfen?«
    »Nun, nun, das nenn' ich Rhetorik! An euch ist ja ein pathetisch listenreicher Advokat verloren – oder vielleicht noch nicht verloren gegangen. Ihr wißt eure Schmerzen für andre unterhaltend zu machen, und also seid ihr ja nicht nur ein Redner, sondern sogar ein Dichter, – obgleich zu diesem Titel der politische Furor nicht stimmen will, denn Politiker und {341} Patrioten sind schlechte Dichter, und die Freiheit ist kein poetisches Thema. Aber daß ihr euere angeborene Rednerkunst, die euch zum Literaten und Volksmann disponierte, dazu benutzt, mich in ein so schlechtes Licht zu setzen und es so hinzustellen, als hätte mein Umgang euch des Glaubens an die Menschheit beraubt und euch ihrer Zukunft wegen in cynische Hoffnungslosigkeit gestürzt, – hört, das ist nicht wohlgetan. Mein' ich's nicht gut mit euch, und wollt ihr's mir verargen, wenn meine Ratschläge euer individuelles Wohl unmittelbarer im Auge haben, als das der Menschheit? Bin ich darum ein Timon? Mißversteht mich nicht! Ich eracht' es durchaus für möglich und wahrscheinlich, daß unser neunzehntes Jahrhundert nicht einfach die Fortsetzung des früheren sei, sondern zum Aufgang einer neuen Aera bestimmt erscheint, worin wir an dem Anblick einer ins Reinste vorschreitenden Menschheit uns werden erquicken dürfen. Freilich sieht's auch wieder gar sehr danach aus, als wollte eine mittlere Kultur gemein werden, um nicht zu sagen eine mittelmäßige, zu deren Gepräge es unter anderm gehört, daß viele, denen es nichts angeht, sich ums Regiment bekümmern. Von unten haben wir den Wahn der jungen Leute, in die höchsten Angelegenheiten des Staates mit einwirken zu wollen, und von oben die Neigung, aus Schwäche und übertriebener Liberalität überall mehr nachzugeben als billig. Lehrt mich aber die Schwierigkeiten und Gefahren eines zu großen Liberalismus kennen, der die Anforderungen der einzelnen hervorruft, sodaß man vor lauter Wünschen zuletzt nicht weiß, welche man befriedigen soll. Man wird immer finden, daß man von oben herab mit zu großer Güte, Milde und moralischer Delikatesse auf die Länge nicht durchkommt, bei Nötigung, eine gemischte und mitunter verruchte Welt in Ordnung und Respekt zu halten. Mit Strenge auf dem Gesetze zu bestehen, ist unerläßlich. Hat man nicht sogar angefangen, in Dingen der Zurechnungsfähigkeit von {342} Verbrechern weich und schlaff zu werden, indem ärztliche Zeugnisse und Gutachten oft dahin gehen, dem Übelthäter an der verwirkten Strafe vorbeizuhelfen? Es gehört Charakter dazu, in solcher allgemeinen Erweichung fest zu bleiben, und so lob' ich mir den jungen Physicus, den man mir neulich rekommandierte, Striegelmann mit Namen, welcher in ähnlichen Fällen immer Charakter zeigt und noch kürzlich bei dem Zweifel eines Gerichtes, ob eine gewisse Kindsmörderin für zurechnungsfähig zu halten, sein Zeugnis dahin ausgestellt hat, daß sie es allerdings sei.«
    »Wie beneid' ich Physicus Striegelmann um das Lob, das Ew. Excellenz ihm spenden! Ich werde von ihm träumen, ich

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