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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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meine Krankheit pochte. Ich habe keinen Anlaß, auf meine Brust zu pochen, ich habe Anlaß, daran zu schlagen … Das ist mein tiefster Ernst, wenn Excellenz sich auch zu belustigen belieben. Meine Schwächen, ich will sogar Laster sagen, sind unverzeihlich; aber keineswegs unter Berufung auf mein körperliches Leiden überlasse ich mich ihnen zuweilen, sondern aus Verstörung der lieben, leidigen See {338} le. Wär' es doch vermessen, die ungeheure Menschenkenntnis meines Wohlthäters daran zu erinnern, daß wohl die plane Führung, die dienstliche Pünktlichkeit eines jungen Mannes darunter leiden mögen, wenn er sich in einer Krisis des Gemütes, einer Umwälzung seiner Gesinnungen und Überzeugungen befindet, die sich unter dem Einfluß, – ich möchte beinah' sagen: unter dem Drucke einer neuen und zwingend bedeutenden Umgebung in ihm vollzieht und die ihn sich fragen läßt, ob er eigentlich im Begriffe ist, sich zu verlieren oder sich zu finden.«
    »Nun, mein Kind, ihr habt mich von den kritischen Wandlungen, die in euch vorgehen, bis dato nicht viel wissen und merken lassen. Worin sie bestehen, worauf ihr mit euren Allusionen hinauswollt, vermut' ich. Laßt mich offen sein, Freund John. Ich habe von dem politischen Ikarusflug, den perfektionistischen Leidenschaften eurer frühen Tage nichts gewußt. Daß ihr es wart, der vordem jenes wagehalsige und fürstenhassende Libellum gegen die Bauernfron und zugunsten einer höchst radikalen Verfassung an Tag gegeben, war nicht zu meiner Kenntnis gelangt, – ich hätte euch sonst, trotz euerer guten Handschrift und Kenntnisse nicht in meinen Hausstand aufgenommen, wofür mir denn von würdigen Männern in hohen und höchsten Behörden manch Wörtchen der Verwunderung, ja des Tadels zuteil geworden. Versteh' ich recht – und auch mein Sohn hat mir dergleichen Andeutungen wohl schon gemacht –, so seid ihr im Begriffe, euch diesen Dünsten zu entringen, euere umstürzlerischen Verirrungen abzutun und euch in Dingen der Staatsraison und irdischen Regimentes redlich ins Rechte und würdig Erhaltende zu denken. Allein ich schätze, daß dieser Klärungs- und Reifevorgang, den ihr stolz genug sein solltet, euch selbst und euerem tüchtigen Verstande und Herzen, nicht aber irgendwelchen Einflüssen, oder gar einem geflissentlichen Drucke von außen zu {339} zuschreiben, – ich schätze, daß er unmöglich zur Erklärung sittlichen Troubles und gestörter Conduite dienen kann, da er ja offenkundig ein Vorgang der Genesung ist und für Seele wie Leib nur heilsame Wirkungen zeitigen kann. Sind doch diese beiden so innig auf einander bezogen und in einander verwoben, daß keine Wirkung auf das eine auszugehen vermag, ohne auch das andre segensreich oder unselig zu affizieren. Meint ihr, euere revolutionären Grillen und Exzesse hätten nichts zu schaffen gehabt mit dem, was ich den Mangel an antäischer Ausgleichung nannte für Civilisation und Geist, den Mangel an frischem und gesundem Leben am Busen der Natur, und euere Kränkelei und Dämpfigkeit sei im Leiblichen nicht ganz dasselbe gewesen wie im seelischen Bereiche jene Grillen? Das ist All-Eines. Tummelt und lüftet euren Körper, verschont ihn mit Brantewein und Tobacksbeize, und ihr werdet in eurem Gehirne auch die rechten, der Ordnung und Obrigkeit gefälligen Gedanken hegen. Entschlagt euch vollends des leidigen Widersprechungsgeistes, des verunnaturenden Dranges nach Weltverbesserung, kultiviert den Garten euerer Eigenschaften, trachtet, euch im wohltätig Bestehenden tüchtig zu erweisen, und ihr werdet sehen, wie auch euer Leibliches sich zu heiterer Stämmigkeit befestigen, zum soliden Gefäße des Lebensbehagens erstarken wird. So weit mein Rat, wenn ihr ihn hören wollt.«
    »Oh, Excellenz, wie sollt' ich nicht! Wie sollt' ich so tief erfahrenen Rat; so weise Direktion nicht mit der gefühltest dankbaren Aufmerksamkeit empfangen! Auch halt' ich mich überzeugt, daß auf die Länge die tröstlichen Zusicherungen, die ich vernehmen durfte, sich vollauf bewähren und erfüllen werden. Nur eben jetzt noch, vorderhand – daß ich's gestehe –, wo in der erlauchten Atmosphäre dieses Hauses die Wandlung meiner Gedanken und Meinungen sich kritisch-mühsam vollzieht, – in dieser Zeit des Überganges von einer Gesinnungs {340} welt zur anderen ist begreiflicher Weise mein Zustand noch reichlich verworren, von Qual und Abschiedsweh nicht frei und so denn auch vielleicht nicht ohne Anspruch auf milde

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