Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
›In dieser Zeit – war meine Stellung gegen die oberen Stände – sehr günstig. – Wenn auch im Werther die Unannehmlichkeiten an der Grenze zweier bestimmten Verhältnisse –‹«
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Froh, daß er fort ist, daß der Eintritt des Frühstücks uns unterbrach. Kann ich den Kerl doch nicht leiden, Gott verzeih mirs, könnt sich keine Denkungsart zulegen, in der er mir nicht wider die Duldsamkeit ginge, ist mir mit der neuen eher fataler noch, als mit der alten, und wärs nicht leicht gewesen heut, mit dem Brief des Hutten an Pirkheimer, den ich in den Papieren hatt, mit den tüchtigen Gesinnungen unseres Adels von damals und mit den Frankfurter Zuständen, – ich wär mit dem Menschen nicht durchgekommen. Nehmen wir zu den Vogelmüsklein einen derben Schluck dieser sonnigen Gabe gegen den üblen Geschmack in der Seele, den mir der Bursche zurückließ! Warum hab ich ihm eigentlich den Brief nach Dresden versprochen? Aergere mich, daß ich's that. Es ist nur, daß mich gleich die gefällige Abfassung reizte, – die Freude am Ausdruck und an der artigen Wendung ist eine Gefahr, leicht läßt sie uns das Handlungsmäßige des Wortes vergessen, und dramatisch formuliert man Meinungen für Einen, der sie allenfalls hätte. Mußt ich ihm zusagen, seinem unappetitlichen Ehrgeiz Sukkurs zu leisten? Was gilts, der wird ein Zelot der Ordnung, ein Torquemada der Gesetzlichkeit. Der wird die Jungens sekkieren, die auch mal von Freiheit träumten. Ich mußt das Gesicht wahren und ihn loben für seine Bekehrung, ist aber ein gar dämlicher Jammer damit. Warum bin ich gegen die Freiheit süß der Presse? Weil sie nur Mittelmäßigkeit bewirkt. Das einschränkende Gesetz ist wohltätig, weil eine Opposition, die keine Grenzen hat, platt wird. Die Einschränkung aber nötigt sie, geistreich zu sein, und das ist ein sehr großer Vorteil. Gerade und grob mag der sein, der durchaus recht hat. Eine Partei aber hat nicht durchaus recht – dafür ist sie Partei. {348} Ihr steht die indirekte Weise wohl an, worin die Franzosen Meister und Muster sind, da die Deutschen nicht meinen, sie hätten das Herz auf dem rechten Fleck, wenn sie mit ihrer werten Meinung nicht gerade herausfallen. So bringt mans nicht weit im Indirekten. Kultur, Kultur! Die Nötigung regt den Geist auf, mehr mein ich nicht, und dieser John ist ein dämprichter Schafskopf. Ministeriell oder oppositionell, es ist bei ihm gehupft wie gesprungen – und denkt noch, es wär ein ergreifend Ereignis, die Umwälzung seiner dämlichen Seele …
War ein widrig quälend Gespräch mit dem Menschen, wie ich erst nachträglich recht gewahr werde. Hat mir das Mahl geschändet mit Harpyen-Dreck. Was denkt der von mir? Wie denkt er, daß ich denke? Denkt wohl, er denkt nun wie ich? Esel, Esel – aber was ärger ich mich so über ihn? Kann das sein, daß ich über den einen Aerger hab, der schon mehr einem Gram ähnlich sieht oder doch der gründlichsten Sorge und Selbstbefragung, die sich nicht auf sowas wie ihn – die sich nur auf das Werk zu beziehen pflegt und alle Abschattungen der Besorgnis und des bangen Zweifels umfaßt – da denn das Werk das objektivierte Gewissen –? Tatengenuß, das ist's. Die schöne, die große Tat, das ist's. (Was denkt der von mir?) Faust muß ins Tatleben, ins Staatsleben, ins menschheitsdienliche Leben geführt werden, sein Streben, um dessentwillen er erlöst werden soll, muß großpolitische Form annehmen, – der andere, der große Dämprichte sahs und sagts und sagt mir nichts Neues damit, nur daß er freilich, wie er schon war, gut reden hatt, weil ihm dies Wort »Politik« nicht Mund und Seele verzog wie sauer Obst, – ihm nicht … Aber wozu hab ich Mephistopheles? Der ist gut, mich schadlos zu halten dafür, daß Fausten die Geister des Ruhms erscheinen der großen Tat. »Pfui, schäme dich, daß du nach Ruhm verlangst!« Im Pult die Notizen, laß sehen. »Mitnichten! Dieser Erdenkreis – Gewährt noch Raum zu großen Taten. – Erstaunenswürdiges soll geraten, – Ich fühle Kraft {349} zu kühnem Fleiß …« Ist gut. »Zu kühnem Fleiß« ist trefflich, – wärs nur nicht eben leider aufs Leidige bezogen. Doch kanns und darfs nicht fehlen, daß dieser Stürmische, Enttäuschte sich von der metaphysischen Spekulation zum
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