Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
weiß es, und mich an seiner Charakterfestigkeit erheben und gewissermaßen berauschen. Ja, auch berauschen! Ach, ich habe meinem Gönner nicht alles gestanden, als ich ihm von den Schwierigkeiten meiner inneren Umbildung sprach; es drängt mich, Ihnen wie einem Vater und Beichtiger Alles zu bekennen. Mit meiner Gesinnungswandlung, meinem neuen Verhältnis zu Ordnung, Erhaltung und Gesetz ist nicht nur Kummer und Abschiedsweh verbunden um der unreifen Träume willen, denen es gilt Valet zu sagen, sondern noch andres, id est – es ist pénible auszusprechen – ein ungekannter, ein herzklopfend schwindlichter Ehrgeiz, unter dessen Zudrang ich ebenfalls wohl zur Bouteille, zum Pfeifenrohr greife, teils, um ihn zu betäuben, teils auch wieder, um mich mit ihrer Hilfe tiefer und heißer in die so neuen Träume zu versenken, in denen er sich manifestiert.«
»Hm. Ein Ehrgeiz? Und welcher Art?«
»Er hat seinen Ursprung in dem Gedanken an die Vorteile, die das innere Bekenntnis zur Macht und zum Gesetz vor dem Widersprechungsgeiste voraushat. Dieser ist Martyrertum, aber die Bejahung der Macht bedeutet für das Gemüt schon den Dienst an ihr und die Teilhaberschaft an ihrem Genusse. Dies {343} sind die neuen, herzauftreibenden Träume, worein dank meinem Reifeprozeß die alten sich verwandelt haben. Item, da die Bejahung der Autorität allbereits den geistigen Dienst an ihr bedeutet, so werden Excellenz es begreiflich finden, daß es meine Jugend unwiderstehlich drängt, die Theorie ins Praktische zu übertragen, und das führt mich zu der Bitte, zu der dies unverhoffte Privatgespräch mir erwünschte Gelegenheit gibt.«
»Die wäre?«
»Ich brauche gewiß kein Wort darüber zu verlieren, wie teuer mir meine gegenwärtige Kondition und Beschäftigung ist, die ich der Studienbekanntschaft mit Dero Herrn Sohn verdanke, und wie unendlich ich die Förderung durch den zweijährigen Aufenthalt in diesem mir und der Welt teueren Hause zu schätzen weiß. Andrerseits wäre es absurd, mir meine Unentbehrlichkeit einzubilden, denn ich bin Einer unter Mehreren, die Eurer Excellenz für die Hilfsarbeiten zur Verfügung stehen, als da sind der Herr Kammerrat selbst, Herr Doktor Riemer, Herr Bibliothekssekretär Kräuter; sowie auch noch der Bediente. Zudem bin ich mir wohl bewußt, Euerer Excellenz in letzter Zeit Anlaß zur Klage gegeben zu haben, eben infolge meiner Wirren und Dämpfigkeit, und habe überall nicht das Gefühl, daß Excellenz besonderes Gewicht auf meine Gegenwart legen, wobei unter andrem die übertriebene Länge meiner Person, meine Brille und die leidige Blattrigkeit meines Gesichtes eine Rolle spielen mögen.«
»Nun, nun, was das betrifft –«
»Meine Idee und brennendes Desideratum ist, aus dem Dienst Eurer Excellenz in den Staatsdienst hinüberzuwechseln und zwar in eine Sparte desselben, die meinen neuen gereinigten Überzeugungen eine besonders günstige Gelegenheit zur Betätigung bietet. In Dresden lebt ein Freund und Gönner meiner armen, wenn auch würdigen Eltern, Herr Hauptmann {344} Verlohren, als welcher persönliche Beziehungen zu einigen Spitzen der preußischen Censur-Behörde unterhält. Wenn ich Excellenz gehorsamst bitten dürfte, bei dem Herrn Hauptmann Verlohren ein brieflich Wort der Rekommandation, das meiner politisch-sittlichen Metamorphose anerkennend gedächte, für mich einzulegen, damit er mich vielleicht für eine Weile bei sich aufnimmt und seinerseits mich an gehörigem, erwünschtem Orte empfiehlt, sodaß mein passionierter und urgenter Wunsch, just auf der Stufenleiter der Censur-Behörde meinen Weg zu machen, sich erfüllte – ich wäre dem Herrn Geheimen Rat, wie schon immer, nun aber zu wahrhaft unsterblicher Dankbarkeit verbunden!«
»Nun, John, das wird sich machen lassen. Auf den Brief nach Dresden soll's mir nicht ankommen, und es sollte mich freuen, wenn ich dazu helfen könnte, diejenigen, die bestellt sind, gegen das Gesetzlose zu wirken, trotz eueren eigenen einstigen Versündigungen zu mildem Entschlusse zu bewegen. Was ihr mir von dem Ehrgeiz gesteht, der mit euerer Sinnesänderung verbunden ist, will mir denn freilich nicht ganz behagen. Aber ich bin's gewohnt, daß manches an euch mir nicht behagt, und ihr mögt es zufrieden sein, denn es trägt bei zu meiner Bereitwilligkeit, euch weiterzuhelfen. Ich werde schreiben – laßt sehen, wie es sich fassen läßt – daß es mich höchlich freuen sollte, wenn einem fähigen Menschen Zeit und Raum
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