Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Sie's. Willkommen und näher. Früh aus den Federn heut.«
»Ja, Excellenz treibt's immer zeitig zu den Geschäften.«
»Nicht doch. Euch mein' ich. Ihr seid früh an der Sonne heut.«
»O, ich, Verzeihung, ich war mir's nicht vermutend, daß von mir sollte die Rede sein.«
»Wie denn, das nenn' ich ein überbescheiden Mißverstehn. Ist der Studiengenosse meines Sohnes, der wackere Lateiner und Rechtsgelahrte, der flüssige Kalligraph der Rede nicht wert?«
»Ich danke gehorsamst. Und wenn so, so war ich nicht gewärtig, daß das erste Morgenwort aus so verehrtem Munde sollte ein Vorwurf sein. Denn anders kann ich die werte Bemerkung nicht deuten, daß ich heute mich zeitig zur Arbeit gemeldet. Wenn der Zustand meiner Brust und längeres Husten vor Einschlafen, sodaß dieses erst spät erfolgt, mich manchmal zu längerer Ruhe nötigen, so dacht' ich mich versichert halten zu dürfen, daß die hohe Menschlichkeit des {336} Herrn Geheimen Rates – Und übrigens ist festzustellen, daß trotz meiner gemeldeten Anwesenheit die Dienste des Carl zum Früh-Diktat bevorzugt wurden.«
»Ei, geht doch, Mann, wie stellt er sich und trübt sich unnütz den Morgen. Insinuiert mir Schonungslosigkeit der Worte und macht zugleich den Bitteren über allzu viel Schonung der That. Dem Carl hab ich aus dem Bett was diktiert, weil ich ihn eben um mich hatte. Es war nur was Amtliches, für euch kommt viel was Besseres dran. Auch hab' ich nichts Übles gedacht bei meinen Worten und wollt' euch nicht hecheln. Wie sollt' ich euerer leidigen Schwäche nicht achten und ihr nicht Rechnung tragen. Wir sind doch Christen. Er ist lang aufgeschossen, ich muß ja aufblicken zu ihm, wenn ich vor ihm stehe, und dann das viele Sitzen im Bücherstaube überm Papier. Da wird die junge Brust denn leicht dämperich, – es ist überhaupt eine Jugendkrankheit, und reifend besiegt man's. Ich hab' auch Blut gespuckt mit zwanzig und steh' heut' noch recht fest auf den alten Beinen, wobei ich gern die Händ' auf den Rücken thu' und als die Schultern zurück, daß die Brust sich wölbt, – seht ihr, so, ihr aber laßt euere Schultern hängen und die Brust versacken, ihr seid zu nachgiebig, – in aller christlichen Humanität sei's euch gesagt. Sie sollten dem Staube ein Gegengewicht suchen, John, sich, wann es nur gehen will, aus dem Staube machen, hinaus in Wiese und Wald, untern offenen Himmel, zu wandern, zu reiten, ich hab's auch so gemacht und mich herausgerappelt. Ins Freie gehört der Mensch, wo er die bloße Erde unter den Sohlen hat, daß ihre Säfte und Kräfte können in ihn aufsteigen, über seinem Kopf die himmelnden Vögel. Die Civilisation und das Geistige sind gute Dinge, sind große Dinge, wir möchten's uns ausgebeten haben. Allein ohne die antäische Compensation, wie wir's einmal nennen wollen, sind sie ruinös für den Menschen und schaffen Krankheit, auf die er dann wohl noch stolz ist um ihretwillen und hangt ihr an {337} wie etwas Ehrenvollem und sogar Vorteilhaftem; denn Krankheit hat ja auch ihr Vorteilhaftes, sie ist ein Dispens und eine Befreiung, aus Christentum muß man ihr vieles verzeihen, und ist so Einer dann prätentiös, speisewählerisch, genäschig, trunkliebend, lebt sich selbst statt der Herrschaft und arbeitet selten zur rechten Zeit, so kann er gewiß sein, daß man sich's dreimal überlegt, ehe man sich den christlichen Mund verbrennt und ihm Vorhaltungen macht, etwa weil er die kränkelnde Brust auch noch mit Toback reizt, sodaß der Dampf davon zuweilen sogar aus seiner Stube dringt, ins Haus hinein und denen zur Last fällt, die ihn durchaus nicht leiden können. Ich meine den Tobackdampf, nicht euch, denn ich weiß, daß ihr mich bei alldem leiden könnt, daß ich euch lieb bin und es euch schmerzt, wenn ich mit euch hadere.«
»Sehr, Excellenz, Herr Geheimer Rat! Bitterlich, dessen bitt' ich versichert zu sein! Ich höre es mit wahrem Entsetzen, daß der Rauch meiner Studienpfeife trotz allen Vorsichtsmaßregeln soll durch die Ritzen gedrungen sein. Ich kenne doch die Aversion des Herrn Geheimen Rates –«
»Die Aversion. Und eine Aversion ist eine Schwäche. Sie bringen die Rede auf meine Schwächen. Es ist aber von Ihnen die Rede.«
»Ausschließlich, verehrtester Herr Geheimer Rat. Ich leugne keine davon und unterwinde mich keines Versuches, sie zu entschuldigen. Nur bitte ich, mir gütigst zu glauben: wenn ich ihrer noch nicht Herr zu werden vermochte, so gewißlich nicht, weil ich dabei auf
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