Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Abschied, Abschied für immer sein, Todeskampf des Gefühls, und die Stunde gräßlicher Schmerzen voll, Schmerzen wie sie wohl dem Tode um einige Zeit vorangehn, und die das Sterben sind, wenn auch noch nicht der Tod. Tod, letzter Flug in die Flamme, – im All-Einen, wie sollte auch er denn nicht nur Wandlung sein. In meinem ruhenden Herzen, teure Bilder, mögt ihr ruhen – und welch ein freundlicher Augenblick wird es sein, wenn wir dereinst wieder zusammen erwachen.«
Die frühvernommene Stimme verhauchte. »Friede deinem Alter!« flüsterte sie noch. Der Wagen hielt. Seine Lichter schie {446} nen mit dem der beiden Laternen zusammen, die zuseiten des Eingangs zum »Elephanten« brannten. Zwischen ihnen stehend hatte Mager, die Hände auf dem Rücken, mit erhobener Nase die neblig gestirnte Herbstnacht geprüft und lief jetzt auf weichen Servierschuhen über den Bürgersteig, dem Bedienten beim Oeffnen des Schlages zuvorzukommen. Natürlich kam er nicht irgendwie dahergerannt, sondern lief wie ein Mann, dem das Laufen schon etwas fremd ist, würdig schwänzelnd, die Hände mit verfeinerter Fingerhaltung zu den Schultern erhoben.
»Frau Hofrätin«, sagte er, »willkommen wie immer! Möchten Frau Hofrätin in unserm Musentempel einen erhebenden Abend verbracht haben! Darf ich diesen Arm offerieren zur sicheren Stütze? Guter Himmel, Frau Hofrätin, ich muß es sagen: Werthers Lotte aus Goethe's Wagen zu helfen, das ist ein Erlebnis – wie soll ich es nennen? Es ist buchenswert.«
ENDE
Anhang
{447} Editorische Nachbemerkung
Ein Werk des Exils, unter geradezu abenteuerlichen Umständen zu Ende gebracht, außerhalb des deutschen Sprachbereichs ins Reine geschrieben, gesetzt und gedruckt, trägt die Erstausgabe von Lotte in Weimar und mit ihr die gesamte Reihe der weiteren Editionen deutliche Spuren dieser Entstehung an sich. Die skandalösen Druckfehler des Erstdrucks (so Thomas Manns eigener Befund) erstreckten sich keineswegs bloß auf orthographische Irrtümer, sondern reichten manches Mal bis an die Grenzen der Unverständlichkeit und auch des blanken Unsinns – der schlimmstenfalls Ausgangspunkt falscher Interpretation wurde. Tempora wurden verwechselt, Artikel falsch gesetzt, Zeichen ausgespart. Aus »Kindesliebe« war eine »Kinderliebe« geworden, aus dem »Reiz der Wahrheit« ein »Reiz Wahrheit«, ein »philologisches Gewissen« zu einem »philosophischen Gewissen«. Da klingelt das Tageslicht durch den Fensterladen, statt zu blinzeln; es strömen »Lust und Licht« und nicht »Luft und Licht«; statt der Großfürstin von Sachsen-Weimar-Eisenach flieht der Großfürst ins neutrale Böhmen; aus »Werther«, dem »vielbeschrieenen« Büchlein, ist ein »vielbeschriebenes« geworden – und so fort. Ganze Sätze oder Teilsätze wurden in den Erstdruck nicht aufgenommen, obwohl sie in der Handschrift nicht gestrichen sind: Zu ihnen gehören die berühmten Worte, mit denen Thomas Mann auf die Aberkennung des Ehrendoktorats der Bonner Philosophischen Fakultät reagierte und die er hier seinem Goethe in den Mund legt: »daß ich zum Repräsentanten geboren und garnicht zum Märtyrer«.
Schlimmen Missbrauch treibt die Stockholmer Ausgabe auch mit Namen: Ruckstuhl, der Schweizer Grammatiker, heißt »Rückstühl«, Frau von Koppenfels, die Gattin des Malers {448} Johann Heinrich Meyer, »Koppenfeld«, Baron von Saint Aignan, der Gesandte Napoleons, »Saint Aignon«. Nicht einmal Magers Freund, der eifrige Sergeant, in den Drucken bisher »Rührig« genannt, hat seinen richtigen Namen erhalten; er wird hinfort »Rührich« heißen.
Als der wahre Umfang der Korruptelen in den Nachkriegsjahren mehr und mehr sichtbar wurde, meinte der bald achtzigjährige Thomas Mann resignierend, es bedürfe wohl eines Herkules, um diesen »Augiasstall« auszumisten. Für die Neuedition von Lotte in Weimar bedeutet dies, dass eine lange Druckgeschichte von Irrtümern umgangen und die Handschrift selbst als Leittext zu Grunde gelegt wird. Sie zählt zu den Schätzen der Bibliotheca Bodmeriana in Genf, die das Autograph für die Neuausgabe zur Verfügung stellte. Damit kommt der Roman nach über sechzig Jahren in einer Gestalt vor das Lesepublikum, die nicht durch ihre Wirkung beglaubigt ist, statt dessen aber den höchst möglichen Grad an Authentizität aufweist.
Dabei wird der Leser, dem die historisierende Orthographie im Laufe der Editionsgeschichte lieb und teuer geworden ist, als Erstes eine ungewohnte
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