Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
kleineren und weiblicheren Mund behauptete sie sich unverkennbar, – eine schüchtern getragene, im Bewußtsein ihrer Herabgesetztheit etwas traurig gefärbte und gleichsam um Entschuldigung bittende Aehnlichkeit, die sich aber auch in der Körperhaltung, den zurückgenommenen Schultern, dem vorgespannten Rumpf, sei es kopierender Weise, sei es als echt konstitutionelle Mitgift, nicht verleugnete. Charlotte war tief gerührt. Der abgewandelt-unzulängliche Versuch des Lebens, den sie vor sich sah, sich zu wiederholen und wieder obenauf in der Zeit, wieder Gegenwart zu sein, – dieser erinnerungsvolle Versuch, der, ebenbürtig dem Einstigen freilich nur hierin, Jugend und Gegenwart gewinnend für sich hatte, erschütterte die alte Frau so sehr, daß, während der Sohn Christianens sich über ihre Hand beugte – es ging ein Duft von Wein und von Eau de Cologne dabei von ihm aus – ihr Atmen zu einem kurzen, bedrängten Schluchzen wurde.
Zugleich fiel ihr ein, daß in gegenwärtiger Gestalt die Jugend von Adel war.
»Herr von Goethe«, sagte sie, »seien Sie mir willkommen! Ich {228} weiß Ihre Aufmerksamkeit zu schätzen und freue mich, so bald nach meiner Ankunft in Weimar die Bekanntschaft des Sohnes eines lieben Jugendfreundes zu machen.«
»Ich danke für gütigen Empfang«, erwiderte er und ließ einen Augenblick in konventionellem Lächeln seine etwas zu kleinen, weißen jungen Zähne sehen. »Ich komme von meinem Vater. Er ist im Besitz Ihres sehr angenehmen Billets und hat es vorgezogen, statt Ihnen briefweise zu antworten, Sie, Frau Hofrätin, durch meinen Mund in unsrer Stadt willkommen zu heißen, wo Ihre Anwesenheit, wie er sagte, zweifellos höchst belebend sein wird.«
Sie mußte lachen in ihrer Rührung und Benommenheit.
»O, das heißt viel erwarten«, sagte sie, »von einer lebensmüden alten Frau! Und wie geht es unserem verehrten Geheimen Rat?« fügte sie hinzu und deutete auf einen der Stühle, auf denen sie mit Riemer gesessen. August nahm ihn und setzte sich umständlich zu ihr.
»Danke der Nachfrage«, sagte er. »So – so. Wir wollen und müssen zufrieden sein. Er ist im Ganzen guter Dinge. Grund zur Sorge oder doch Vorsorge gibt es immer, die Labilität, die Anfälligkeit bleiben beträchtlich, und große Regelmäßigkeit der Führung wird sich immer empfehlen. – Darf ich mich meinerseits erkundigen, wie Frau Hofrätin gereist sind? Ohne Zwischenfall? Und auch das Logis befriedigt? Die Nachricht wird meinem Vater sehr lieb sein. Man hört, der werte Besuch gilt Ihro Frau Schwester, der werten Geheimen Kammerrätin Ridel. Er wird das gefühlteste Vergnügen erregen in einem Hause, das die Oberen schätzen und die Unterstellten einhellig verehren. Ich darf mir schmeicheln, mit dem Herrn Geheimen Kammerrat amtlich und persönlich in reinstem Vernehmen zu stehen.«
Charlotte fand seine Ausdrucksweise altklug und unnatürlich gemessen. Schon »höchst belebend« war seltsam gewesen; {229} das »reinste Vernehmen« und anderes lächerten sie auch. Riemer hätte so sagen können, nur daß es sich im Munde des blutjungen Menschen viel sonderbarer, in seiner Pedanterie geradezu excentrisch ausnahm. Charlotte fühlte deutlich, daß es eine angenommene Redeweise war – offenbar ohne daß der Redende sich der Affektation im Geringsten bewußt war; denn sie stellte fest, daß er sich aus dem unwillkürlichen Zucken in ihrem Gesicht nichts machte, es nicht beachtete, weil er es nicht verstand und seine Ursache ihm fernlag. Dabei konnte sie nicht umhin, die Würde und Steifigkeit seiner Worte gegen das zu halten, was sie von seinen Bewandtnissen wußte, was sie aus jenem großen, befeuchteten Munde über ihn gehört hatte. Sie dachte an sein penchant zur Flasche, an die Husarenfrau, daran, daß er einmal auf der Wache gewesen, daß Riemer vor seiner Grobheit geflohen war; sie mußte zugleich damit an seine prekäre, nur künstlich gedeckte gesellschaftliche Stellung seit der Freiwilligen-Geschichte denken, an den unterdrückten Vorwurf der Feigheit und Unkavaliersmäßigkeit, den er zu tragen hatte; und über dem allen war da der Gedanke an seine trübe Neigung zu jener Ottilie, dem »Persönchen«, der zierlichen Blondine, – diese Liebe, die nun freilich zu seiner besonderen Art, sich auszudrücken, eigentlich nicht mehr im Verhältnis des Gegensatzes stand, sondern, wie ihr schien, weitläufig und doch unmittelbar damit zusammenhing und übereinstimmte. Zugleich aber hatte sie auch
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