Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
anderweitig beschäftigt war, – eigentlich nur ein paar Verse, aber sehr ausdrucksvoll: ›Du versuchst, o Sonne, vergebens – Durch die düstern Wolken zu scheinen. – Der ganze Gewinn meines Lebens – Ist, ihren Verlust zu beweinen.‹«
»Hm«, sagte sie wieder und nickte mit zögernder Einfühlung. Im Grunde gestand sie sich, daß sie das Gedicht einerseits wenig bedeutend, andererseits übertrieben fand. Und dabei hatte sie wiederum den Verdacht – und las es mit einer gewissen Deutlichkeit in den Augen, mit denen er sie ansah – daß er ein solches Urteil hatte herausfordern wollen: natürlich nicht, daß sie es ausspräche, aber daß sie es dächte und daß sie es Einer dem Andern in den Augen läsen. Sie schlug darum die ihren nieder und murmelte ein undeutliches Lob.
»Nichtwahr?« sagte er, obgleich er nicht verstanden hatte. »Es ist von höchster Wichtigkeit«, fuhr er fort, »daß dies Gedicht existiert, ich freue mich täglich darüber und habe mehrere Abschriften davon in die Gesellschaft lanciert. Sie wird – gewiß mit Aerger und vielleicht doch auch zu ihrer endlichen Beschämung und Belehrung – daraus ersehen, wie innig zugetan – bei aller Freiheit und allem Für sich sein, die er sich selbstverständlich salvieren mußte – Vater der Mutter war und mit wie großer Rührung er ihr Andenken ehrt, – das Andenken einer {235} Frau, die sie allezeit mit ihrem Haß, ihrer Bosheit und mißgünstigen Médisance verfolgt hat. Und warum?« fragte er, sich ereifernd. »Weil sie sich in ihren gesunden Tagen gern ein wenig distrahierte, gern ein Tänzchen machte und gern in fröhlicher Gesellschaft ein Gläschen trank. Ein schöner Grund! Vater hat sich darüber amüsiert und wohl manchmal mit mir gescherzt über Mutters ein wenig derbe Lebenslust, hat auch darüber einmal ein Verschen verfaßt, wie immer bei ihr der Freudenkreis sich schlösse, aber das war herzlich und eher beifällig gemeint, und schließlich ging er ja auch seine eigenen Wege und war mehr weg von uns, in Jena und in den Bädern, als er bei uns zu Hause war. Es kam vor, daß er selbst über Weihnachten, was doch auch mein Geburtstag ist, im Jenaer Schloß bei seiner Arbeit blieb und nur Geschenke schickte. Wie aber Mutter für sein leiblich Wohl gesorgt, ob er nun nah war oder fern, und wie sie des Hauses Last getragen und von ihm abgehalten, was ihn in seinem heiklen Werk hätte stören können, wovon sie nicht vorgab, was zu verstehen – verstehen es denn die andern? –, wovor sie aber den reinsten Respekt hatte, – das wußte Vater wohl und wußte ihr Dank dafür, und auch die Gesellschaft hätte ihr Dank wissen sollen, wenn auch sie wahrhaft Respekt hatte vor seinem Werk, aber daran fehlt es eben in ihrer schnöden Seele, und sie zog es vor, Mutter zu hecheln und durchs Geschwätz zu ziehen, weil sie nicht aetherisch war und nicht sylphisch, sondern in Gottes Namen dick, mit roten Bakken, und nicht französisch konnte. Aber das war alles bloß Neid und garnichts anderes, der grüne, gelbe Neid, weil sie das Glück gehabt hatte, sie wußte nicht, wie, und war der Hausgeist und die Frau des großen Dichters und großen Herrn im Staate geworden. Bloß Neid, bloß Neid. Und darum bin ich so froh, daß wir dies Gedicht haben auf Mutters Tod, denn unsere Gesellschaft wird sich gelb und grün darüber ärgern, weil es so schön und bedeutend ist«, stieß er wütend hervor, mit geballter Faust, die Augen getrübt, die Stirnadern hoch geschwollen.
{236} Charlotte konnte sehen, daß sie einen jähzornigen, zu Exzessen geneigten jungen Mann vor sich hatte.
»Mein guter Herr Kammer-Rat«, sagte sie, indem sie sich zu ihm neigte, die Faust nahm, die bebend auf seinem Knie lag, und zart ihre Finger öffnete, – »mein guter Herr Kammer-Rat, ich kann ganz mit Ihnen fühlen und thu' es um so lieber, als es mir recht von Herzen wohlgefällt, daß Sie so zu Ihrer lieben seligen Mutter halten und nicht die Genügsamkeit üben, nur mit begreiflichem Stolz Ihrem großen Vater anzuhangen. Es ist sozusagen kein Kunststück, einem Vater, wie Sie ihn den Ihren nennen, ein guter Sohn zu sein. Aber daß Sie ritterlich, auch gegen die Welt, das Andenken einer Mutter hochhalten, die mehr nach unser aller gemeinem Maß gemacht war, das schätze ich wärmstens an Ihnen, die ich selbst Mutter bin und Ihre Mutter sein könnte, den Jahren nach. – Und dann der Neid! Mein Gott, ich bin mit Ihnen ganz eines Sinnes darüber. Ich habe
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