Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
mit ihr, der alten Charlotte, will sagen: mit ihrem weiteren und allgemeineren Selbst auf eine sehr rührende und die Situation komplizierende Weise zu tun, dergestalt, daß die Charaktere des Sohnes und des Liebhabers sich vermischten, wobei aber der Sohn in hohem Grade Sohn blieb, das hieß: sich gleich dem Vater gebärdete. »Mein Gott!« dachte Charlotte, indem sie in sein ziemlich schönes und ähnlichkeitsvolles Gesicht blickte. »Mein Gott!« In diesen bittenden Ausruf faßte sie innerlich die Rührung und erbarmende {230} Zärtlichkeit zusammen, die die Gegenwart des jungen Menschen ihr erregte, und auch das Lächerliche seiner Redeweise begriff sie mit ein.
Übrigens erinnerte sie sich auch des Auftrages, mit dem man sie beschwert, der Bitte, die man ihr ans Herz gelegt, in gewisse Verhältnisse womöglich einzugreifen, einen bestimmten Lauf der Dinge aufzuhalten und, sei es dem »Persönchen« den Liebhaber oder dem Liebhaber das »Persönchen« auszureden. Aber offen gestanden spürte sie keine Lust und Berufung dazu, sondern fand es zuviel verlangt, daß sie gegen das »Persönchen« intriguieren sollte, um es zu »retten« – da es doch vielmehr die offenkundige Sendung eben dieses »Persönchens« war, die Husarenfrau und andere penchants aus dem Felde zu schlagen, und sie, die alte Charlotte, sich in diesem Ziele ganz solidarisch mit dem Persönchen fühlte.
»Es freut mich zu hören, Herr Kammer-Rat«, sagte sie, »daß zwei so wackere Männer wie Sie und mein Schwager einander schätzen. Übrigens höre ich's nicht zum ersten Mal. Auch briefweise« (sie wiederholte unwillkürlich und fast als wollte sie ihn aufziehen eine von den Schnurrigkeiten seiner Rede) »auch briefweise ist's mir schon zugekommen von meiner Schwester. Darf ich Ihnen bei dieser Gelegenheit gratulieren zu Ihren kürzlichen Avancements als Hof- und Geschäftsmann?«
»Ich danke zum schönsten.«
»Gewiß sind es verdiente Gnaden«, fuhr sie fort. »Man hört viel Lobenswertes von Ihrem Ernst, Ihrer Genauigkeit im Dienst Ihres Fürsten und Landes. Für Ihre Jahre, wenn ich das sagen darf, sind Sie ein vielbelasteter Mann. Es ist mir nicht unbekannt, daß Sie auch Ihrem Vater noch, zu allem Übrigen, sehr löblich zur Seite stehen.«
»Man muß froh sein«, erwiderte er, »dazu überall noch die Möglichkeit zu haben. Seit seinen schweren Krankheiten von anno eins und fünf ist es nichts weniger als eine Selbstverständ {231} lichkeit, daß wir ihn noch den unseren nennen. Ich war noch sehr jung in beiden Fällen, aber ich erinnere mich der Schrecknisse wohl. Die Blatterrose, das erste Mal, brachte ihn an den Rand des Grabes. Sie war mit einem Krampfhusten kompliziert, der ihm das Bett verwehrte, denn dort wollt' er ersticken. In stehender Stellung hatte er's durchzufechten. Eine große Nervenschwäche blieb lange zurück. Vor elf Jahren sodann war es das Brustfieber mit Krämpfen, das uns durch lange Wochen an seinem Leben zweifeln ließ. Dr. Stark von Jena behandelte ihn. Eine kränkliche Genesung zog sich nach überstandener Krisis durch Monate hin, und Dr. Stark proponierte eine italienische Reise. Aber der Vater erklärte, sich bei seinen Jahren zu einem solchen Unternehmen nicht mehr entschließen zu können. Sechsundfünfzig war er damals.«
»Das heißt zu früh entsagen.«
»Finden Sie nicht auch? – Uns scheint, daß er auch seinem rheinischen Italien entsagt hat, wo ihm doch voriges und vor-voriges Jahr so wohl gewesen ist. Haben Sie von seinem Unfall gehört?«
»Nicht doch! Was ist ihm zugestoßen?«
»O, es ist gut abgelaufen. Diesen Sommer, nach meiner Mutter Abscheiden –«
»Lieber Herr Kammer-Rat«, unterbrach sie ihn, noch einmal erschrocken, »ich habe bis zu dieser Erwähnung – es ist mir kaum verständlich, warum – versäumt, Ihnen meine innigste Condolenz zu diesem schweren, unersetzlichen Verlust auszusprechen. Nicht wahr, Sie sind der herzlichen Anteilnahme einer alten Freundin gewiß –«
Er warf ihr aus seinen dunklen, weichen Augen einen raschen und scheuen Blick zu und senkte sie dann.
»Ich danke zum Besten«, murmelte er.
Einige Trauer-Sekunden vergingen im Schweigen.
»Wenigstens«, sagte sie dann, »hat dieser harte Schlag der {232} unschätzbaren Gesundheit des lieben Geheimen Rates also nichts Ernstliches anhaben können.«
»Er war selbst unpäßlich in den letzten Tagen ihrer Krankheit«, erwiderte August. »Er war von Jena, wo er arbeitete, herbeigeeilt, als die
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