Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
ihrem Funde im Park auf Flügeln des Entzückens stadtwärts getragen worden waren, mit ausgeruhtem Munde wieder aufgenommen hatte.
Daß der Kellner zum zweiten Mal klopfte, geschah erst in der Gegend der Geschichte, wo es sich um die »Husarenfrau« und die »Wahlverwandtschaften« drehte. Er hatte entschiedener geklopft, als vorhin, und trat mit einer Miene herein, die anzeigte, daß er diesmal zur Störung sich voll legitimiert fühle und keine Skrupel noch Zweifel ihn deswegen plagen dürften. Seiner Sache sicher, verkündigte er:
» Herr Kammerrat von Goethe .«
Es war Adele, die bei dieser Meldung vom Sofa aufgesprungen war, wiewohl auch Charlottens Sitzenbleiben auf nichts {221} weniger als Gelassenheit, sondern eher auf ein gewisses Versagen der Kräfte gedeutet hatte.
»Lupus in fabula!« rief Fräulein Schopenhauer. »Ihr guten Götter, was nun? Mager, ich darf dem Herrn Kammerrat nicht begegnen! Sie müssen das einrichten, Mann! Sie müssen mich auf irgend eine Weise an ihm vorbeibugsieren! Ich verlasse mich auf Ihre Umsicht!«
»Mit Grund, Fräulein«, hatte Mager erwidert, »mit Grund. Ich habe von Ohngefähr mit einem solchen Wunsche gerechnet, denn ich kenne die Zartheit der gesellschaftlichen Beziehungen und weiß, daß man niemals wissen kann. Ich habe dem Herrn Kammerrat eröffnet, daß Frau Hofrätin im Augenblick noch beschäftigt ist und ihn in die untere Trinkstube gebeten. Er nimmt ein Gläschen Madeira, und ich habe die Flasche dazugestellt. So bin ich in der Lage, den Damen anheimzugeben, ihre Conversation zu beenden und werde dann um den Vorzug bitten, das Fräulein ungesehen über den Flur zu geleiten, bevor ich den Herrn Kammerrat benachrichtige, daß Frau Hofrätin ihn empfangen kann.«
Für diese Anordnung war Mager von beiden Damen belobt worden und war wieder gegangen. Adele aber hatte gesagt:
»Teuerste Frau, ich bin mir der Größe des Augenblicks bewußt. Der Sohn ist da – das bedeutet Botschaft vom Vater. Auch ihm, den sie am meisten angeht, ist Ihre Anwesenheit schon bekannt geworden – wie denn auch nicht, das Aufsehen ist groß, und Weimars Fama ist eine leichtgeschürzte Göttin. Er sendet nach Ihnen, er präsentiert sich Ihnen in der Person seines Sprossen – ich bin tief bewegt, ich halte, erschüttert wie ich ohnedies von den Gegenständen bin, die ich Ihnen darlegen durfte, kaum die Thränen zurück. Diese Annäherung ist von so unvergleichlich größerer Bedeutung und Dringlichkeit als die meine, daß ich garnicht daran denken darf, Sie – etwa in Berücksichtigung des Umstandes, daß der Kammerrat mit Ma {222} deira versehen ist – zu bitten, meinen Bericht zu Ende zu hören, bevor Sie die Botschaft entgegennehmen. Ich denke nicht daran, Verehrteste, und beweise durch mein Verschwinden …«
»Bleiben Sie, mein Kind«, hatte Charlotte mit Bestimmtheit geantwortet, »und nehmen Sie, wenn's gefällig ist, Ihren Platz wieder ein!« – Eine Pastellröte bedeckte die Wangen der alten Dame, und ihre sanften blauen Augen schimmerten fiebrig, aber ihre Haltung auf dem Sofasitz war außerordentlich aufrecht, beherrscht und zusammengenommen. – »Der Gemeldete«, fuhr sie fort, »möge sich ein Kleines gedulden. Ich beschäftige mich ja mit ihm, indem ich Ihnen zuhöre und bin übrigens gewöhnt, in meinen Geschäften Ordnung und Reihenfolge zu halten. Ich bitte, fahren Sie fort! Sie sprachen von einem Sohneserbe, von einer liebenswürdigen Schwebe –«
»Ganz recht!« hatte sich Demoiselle Schopenhauer in raschem Niedersitzen erinnert. »Nehmen Sie ein so herrliches Werk wie den Roman …« Und in erhöhtem Tempo, in den flüssigsten Kadenzen und mit unglaublicher Zungenfertigkeit hatte Adelmuse ihre Erzählung zum Abschluß gebracht, ohne sich übrigens nach dem letzten Wort mehr als ein kurzes Atemholen zu gönnen. Vielmehr geschah es ohne jeden Verzug, nur mit einem gewissen Wechsel des Tonfalls, daß sie nun fortfuhr:
»Dies sind die Dinge, die vor Sie zu bringen, teuerste Frau, es mich unwiderstehlich drängte, sobald ich von Ihrer Gegenwart erfuhr. Der Wunsch, es zu tun, wurde sogleich eins mit dem, Sie zu sehen, Ihnen meine Huldigung darzubringen, und um seinetwillen habe ich mich schuldig gemacht vor Line Egloffstein, indem ich ihr mein Vorhaben verschwieg und sie von diesem Besuche ausschloß. Liebste! Verehrteste! Das Wunder, von dem ich sprach, ich erhoffe es von Ihnen. Wenn sich, wie ich sagte, der Himmel noch im letzten Augenblick ins
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