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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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Nachrichten ärger lauteten, aber eine Fiebrigkeit zwang ihn, am Tage des Hinscheidens das Bett zu hüten. Es waren Krämpfe, wissen Sie, an denen – oder unter denen – die Mutter starb, ein sehr schwerer Tod. Auch ich durfte nicht zu ihr herein, noch waren von ihren Freundinnen zuletzt welche um sie. Die Riemer, die Engels und die Vulpius hatten sich zurückgezogen. Der Anblick war wohl nicht auszustehen. Zwei Wärterinnen kamen von außen, in deren Armen das Letzte geschah. Es war etwas, ich darf es kaum sagen, wie eine schwere, schreckliche Frauensache, wie eine Fehl- oder Totgeburt, eine Todesniederkunft. So kam es mir vor. Es mögen die Krämpfe gewesen sein, die mich den Vorgang in diesem Licht erblicken ließen, und auch wohl, daß man mich diskret davon ausschloß, trug zu dem Eindruck bei. Wieviel mehr denn aber hätte man den Vater mit seinem empfindlichen System, das alles Düstere und Verstörende zu meiden genötigt ist, davor bewahren müssen, selbst wenn er nicht von sich aus bettlägrig gewesen wäre. Auch als Schiller im Sterben lag, hütete er das Bett. Es ist seine Natur, die ihn die Berührung mit Tod und Gruft meiden läßt, – ich sehe da eine Mischung von Fügung und Vorsatz. Sie wissen, daß vier Geschwister von ihm im Säuglingsalter gestorben sind? Er lebt, – man kann sagen: er lebt im höchsten Grade; aber mehrmals von jung auf war er selbst dem Tode nahe, augenblicksweise und zeitweise. Mit ›zeitweise‹ meine ich die Wertherzeit –« Er besann sich, verwirrte sich etwas und setzte hinzu: »Aber ich habe vielmehr die physischen Krisen im Sinn, den Blutsturz des Jünglings, die schweren Erkrankungen in seinen fünfziger Jahren – nicht zu gedenken der Gichtanfälle und Nierensteinkoliken, die ihn schon so früh in die böhmischen {233} Bäder führten, noch auch der Perioden, wo es ohne greifbares Detriment doch immer auf Spitze und Knopf mit ihm stand, sodaß die Gesellschaft sich sozusagen täglich seines Verlustes versah. Auf ihn waren vor elf Jahren aller Augen bänglich gerichtet,– da starb Schiller. Meine Mutter glich immer dem blühenden Leben neben ihm, dem Kränkelnden; aber sie war es, die starb, und wer lebt, das ist er. Er lebt sehr stark bei aller Gefährdung, und öfters denke ich, er werde uns alle überleben. Er will vom Tode nichts wissen, er ignoriert ihn, sieht schweigend über ihn hinweg, – ich bin überzeugt: wenn ich vor ihm stürbe – und wie leicht möchte das geschehen; ich bin zwar jung, und er ist alt, aber was ist meine Jugend gegen sein Alter! Ich bin nur ein beiläufiger, mit wenig Nachdruck begabter Abwurf seiner Natur – wenn ich stürbe, er würde auch darüber schweigen, sich nichts anmerken lassen und nie meinen Tod bei Namen nennen. So macht er's, ich kenne ihn. Es ist, wenn ich so sagen darf, eine gefährdete Freundschaft, die er unterhält mit dem Leben, und das macht es wohl, daß er sich gegen makabre Bilder, Agonie und Grablegung so sorglich entschieden abschließt. Er hat nie mögen zu Begräbnissen gehen und wollte nicht Herder, nicht Wieland, nicht unsere arme Herzogin Amalie, an der er doch sehr gehangen, im Sarge sehen. Bei Wielands Exequien, zu Osmannstedt, vor drei Jahren, hatte ich die Ehre, ihn zu vertreten.«
    »Hm«, machte sie, eine geistliche Unzufriedenheit im Herzen, die fast auch menschliche Auflehnung war. »In mein Büchlein«, sagte sie nach einigem Blinzeln, »hab' ich ein Wort eingetragen, wie manches, das ich liebe. Es heißt: ›Seit wann begegnet der Tod dir fürchterlich, mit dessen wechselnden Bildern wie mit den übrigen Gestalten der gewohnten Erde du gelassen lebtest?‹ – Es steht im ›Egmont‹.«
    »Ja, Egmont!« sagte er nur. Danach sah er zu Boden, schlug gleich die Augen wieder auf, Charlotte groß und forschend {234} damit anzusehen und senkte den Blick aufs neue. Nachträglich hatte sie den Eindruck, daß es seine Absicht gewesen war, ihr die Empfindungen zu erregen, mit denen sie kämpfte, und daß die rasche Nachschau ihn des Erfolges hatte versichern sollen. Dann freilich schien er einlenken und die Wirkung seiner Worte abschwächen und berichtigen zu wollen, denn er sagte:
    »Natürlich hat Vater die Mutter im Tode gesehen und sich aufs ergreifendste von ihr verabschiedet. Wir besitzen auch ein Gedicht, das er auf ihren Tod verfaßt hat, – wenige Stunden nach dem Ende hat er es niederschreiben lassen, – leider nicht von mir, er diktierte es seinem Bedienten, da ich

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