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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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Mittel legen will, um eine Verbindung zu verhüten, deren Verkehrtheit und Gefahren mir die Seele abdrücken, – Ihrer, so fuhr es mir durch {223} den Sinn, möchte er sich wohl zu diesem Ende bedienen und hat Sie vielleicht dazu hergeführt. Sie werden in wenigen Minuten den Sohn, in wenigen Stunden, wie ich vermute, den großen Vater sehen. Sie können Einfluß nehmen, können warnen, Sie dürfen es! Sie könnten Augustens Mutter sein – Sie sind es nicht, weil Ihre berühmte Geschichte anders verlief, weil Sie sie anders wollten und lenkten. Die reine Vernunft, den heilig festen Sinn für das Richtige und Gemäße, mit dem Sie es thaten, – führen Sie ihn auch hier ins Feld! Retten Sie Ottilien! Sie könnte Ihre Tochter sein, sie scheint es zu sein: eben darum schwebt sie heute in einer Gefahr, der Sie selbst einst die ehrwürdigste Besonnenheit entgegensetzten. Seien Sie Mutter dem Ebenbilde Ihrer Jugend – denn das ist sie, als solches wird sie geliebt – von einem Sohn, durch einen Sohn. Behüten Sie das ›Persönchen‹, wie der Vater sie nennt, – behüten Sie sie, gestützt auf das, was Sie diesem Vater einst waren, davor, das Opfer einer Faszination zu werden, die mir so unaussprechlich bange macht! Der Mann, dem Sie in Ihrer Weisheit folgten, ist dahin, die Frau, die Augustens Mutter wurde, ist auch nicht mehr. Sie sind allein mit dem Vater, mit dem, der Ihr Sohn sein könnte, und der Lieblichen, die Ihr Tochterbild ist. Ihr Wort kommt dem einer Mutter gleich, – legen Sie es ein gegen das Falsche, Verderbliche! Dies meine Bitte, meine Beschwörung …«
    »Mein bestes Kind!« sagte Charlotte. »Was verlangen Sie von mir? Worein wollen Sie daß ich mich mische? Als ich mit schwankenden Gefühlen, aber freilich mit der lebhaftesten Anteilnahme Ihrer Erzählung lauschte, dachte ich nicht, daß sich ein solches Zutrauen, um nicht zu sagen: ein solches Ansinnen daran knüpfen werde. Sie verwirren mich – nicht nur durch Ihre Bitte, sondern auch durch die Art wie Sie sie begründen. Sie stellen mich in Beziehungen hinein … wollen mich verpflichten, indem Sie mich alte Frau eine Wiederkehr sehen lassen meinerselbst … Sie scheinen wahr haben zu wol {224} len, daß durch den Hingang der Geheimen Rätin mein Verhältnis zu dem großen Mann, den ich ein Leben lang nicht gesehen, sich geändert habe – und zwar in dem Sinn, daß es mir Mutterrechte gewähre an seinem Sohn … Geben Sie das Absurde und Erschreckende dieser Auffassung zu! Es könnte ja scheinen, alsob ich diese Reise … Wahrscheinlich habe ich Sie mißverstanden. Verzeihen Sie! Ich bin müde von den Eindrükken und Anstrengungen dieses Tages, deren mich, wie Sie wissen, noch eine oder die andere erwartet. Leben Sie wohl, mein Kind, und haben Sie Dank für Ihre schöne Mitteilsamkeit! Glauben Sie nicht, daß diese Verabschiedung eine Abweisung bedeutet! Die Aufmerksamkeit, mit der ich Ihnen zuhörte, möge Ihnen dafür bürgen, daß Sie sich an keine Teilnahmlose wandten. Vielleicht habe ich Gelegenheit, zu raten, zu helfen. Sie werden verstehen, daß ich vor Empfang der Botschaft, die ich erwarte, nicht wissen kann, ob ich überall in die Lage kommen werde, Ihnen zu dienen …«
    Sie blieb sitzen, während sie Adelen, die aufgesprungen war, um ihren Hofknix zu exekutieren, gütig lächelnd die Hand hinstreckte. Ihr Kopf hatte sein zitterndes Nicken über dem des jungen Mädchens, das, ebenso hoch erhitzt wie sie, sich zu einem verehrenden Kuß über die dargereichte Hand beugte. Dann ging Adele. Charlotte verharrte einige Minuten allein, gesenkten Hauptes, in dem Zimmer ihrer Empfänge auf ihrem Sofaplatz, bis Mager kam und wiederholte:
    »Herr Kammerrat von Goethe.«
    August trat ein, die braunen, nahe beisammen liegenden Augen in neugierigem Glanz, aber mit schüchternem Lächeln auf Charlotte gerichtet. Auch sie sah ihm mit einer Dringlichkeit entgegen, die sie durch ein Lächeln abzuschwächen suchte. Das Herz klopfte ihr bis zum Halse, – zusammen mit der Hitzigkeit ihrer Wangen, mochte sie auch von Überanstrengung herrühren, war das zweifellos lächerlich, wenn hoffent {225} lich zugleich auch reizend für einen Beobachter von einiger Leutseligkeit. Ein solches Schulmädel gab es wohl kaum noch einmal bei dreiundsechzig Jahren. Er selbst war 27, – vier Jahre älter geworden gegen damals, – konfuser Weise war ihr, als trennten sie von jenem Sommer nur die vier Jahre, die dieser hier vor dem jungen Goethe

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