Lotte, Motte und ich
hörte nicht länger zu, sondern dachte über meine Beobachtungen nach.
Im Haus gegenüber wohnte ein Junge. Er spielte Fußball und verschickte Geheimnachrichten. So viel warklar. Aber an wen schickte er die Nachrichten?, fragte ich mich.
Am wahrscheinlichsten war, dass hinter dem anderen Fenster sein Freund wohnte und dass dem auch das zweite Fahrrad gehörte. Das fand ich aber blöd. Zwei befreundete Jungs und weit und breit kein Mädchen! Da wohnte ich ja noch lieber nur mit Erwachsenen zusammen.
Es musste noch andere Möglichkeiten geben: Vielleicht wohnte hinter dem zweiten Fenster gar kein Kind. Da klebte schließlich nichts an der Scheibe. Vielleicht schickte der Junge Botschaften an jemand Erwachsenen. Vielleicht war der Erwachsene ein echter Detektiv und der Junge half ihm. Das wäre aufregend! Am besten wäre es, wenn der Detektiv und der Junge noch Hilfe gebrauchen konnten und ich auch irgendwelche geheimen Dinge auskundschaften durfte. Bestimmt würde ich mich dann auch mit dem Jungen gut verstehen, obwohl er ein Junge war.
Ich schob den Rest des Pizza-Ecks in meinen Mund und wollte schnell wieder in mein Zimmer laufen und das Haus gegenüber beobachten.
»Bist du schon fertig, Tinka?«, fragte Mama.
»Nein, nur ...«
»Iss bitte erst auf!«
Olov sagte: »Also heute muss das doch echt nicht sein, wir sitzen ja nicht mal am Tisch.«
»Es geht mir nicht ums gute Benehmen, sondern darum, dass sie genügend isst! Schau sie dir doch an mit ihren Stöckerbeinen«, sagte Mama.
»Wenn sie Hunger hat, isst sie schon«, meinte Olov und zwinkerte mir zu.
Ich rannte schnell in mein Zimmer. Aber wichtige Beobachtungen machte ich keine mehr.
Später, als Olov den leeren Laster zur Autovermietung zurückbrachte, schickte Mama mich ins Bett. Also besser gesagt: auf die Matratze, das Bett stand ja noch nicht. Es war neun Uhr und noch nicht richtig dunkel, ein bisschen dämmrig eben. Das war praktisch, denn in meinem Zimmer gab es ja noch keine Lampe. Aber drüben im Hinterhaus schon! Und genau in dem Moment, als ich vom Zähneputzen zurück in mein Zimmer kam, ging in dem Zimmer mit dem Fußball-Fensterbild das Licht an. Ich konnte hineingucken wie auf eine erleuchtete Bühne. Da sah ich ganz deutlich ein Mädchen! Es hatte einen gepunkteten Schlafanzug an und kletterte an einer Leiter in ein Hochbett.
Ich sprang begeistert zum Fenster und schaute sie mirmit dem Fernglas an. Ihr Gesicht war jetzt so nah, dass ich die einzelnen Sommersprossen auf ihrer Nase sehen konnte. Sie hatte viele. Und ganz kreisrunde Nasenlöcher, wie bei einer Steckdose. Ihre Augen waren groß und braun und ihre Haare wild, blond und lockig. Leider steckte sie ihren Kopf dann in ein Buch und ich konnte nur noch die blonden Ringelhaare sehen.
»Was hast du denn jetzt schon wieder entdeckt, Frau Detektivin?«, fragte Mama, die zum Gute-Nacht-Sagen ins Zimmer kam.
»Ein achtjähriges Mädchen, das geheime Botschaften an einen Nachbarn schickt, gerne Fußball spielt, zwei Fahrräder besitzt und eigentlich keine andere Möglichkeit hat, als sich mit mir anzufreunden!«, sagte ich. Gleich morgen wollte ich sie kennenlernen.
2
Das Mädchen im Hof
Noch beim Einschlafen dachte ich mir, dass sich das Mädchen sicher freuen würde, wenn ich mit einem Fußball im Hof auf sie wartete. Ich selber finde Fußball nicht so toll, aber sie hatte ja diese Aufkleber am Fenster. Außerdem besaß ich einen Fußball und fand es gut, dass ich den endlich mal benutzen konnte.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, fing ich gleich an, den Fußball zu suchen. Ich tappte barfuß in den Flur. Da stand eine ganze Wand aus Umzugskartons und obendrauf lag der beige Lampenschirm aus Kunststoff, von dem Mama immer sagt, er sehe aus wie ein Klodeckel. Mama und Olov schliefen noch, also konnte ich nicht fragen, wo was drin war. Aber Mama hatte die Kartons ja beschriftet. Ich kletterte auf einen Stuhl, um mir die oberste Reihe anzusehen. »Bücher + Kissen« stand auf dem ersten, auf dem nächsten »Comics + Malsachen«,dann zweimal: »Wohnzimmer«. Was auf den Kartons darunter stand, konnte ich nicht lesen, ohne die oberen herunterzuheben. Also versuchte ich, einen »Wohnzimmer«-Karton anzuheben. Er war ganz schön schwer.
Ich zog und zerrte und irgendwann rutschte er mir ein Stück entgegen. Ich musste ihn nur noch ein bisschen nach oben drücken. Das hätte ich auch geschafft! Ehrlich. Es war nur so, dass in diesem Moment der Stuhl kippelte. Da verlor ich das
Weitere Kostenlose Bücher