Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße
großen Wassernot hockten um sie her. Mr. Vance streckte sich auf den Boden aus, wobei er den Kopf auf den Arm legte. »Willst du nicht auch ein bißchen schlafen, Fred?«
Auch Fred legte sich nieder.
»Mr. Vance, bevor Sie einschlafen …«
»Ja?«
»Arbeiten Sie ständig am Fluß?«
»Ja, so ziemlich. Warum?«
»Ich möchte auch am Deich arbeiten. Vielleicht fällt mir mit der Zeit etwas ein, wie man ihn stärker bauen könnte. Ich will gern weiter für Sie arbeiten!«
Mr. Vance streckte die Hand aus und klopfte Fred auf den Arm. »Ich will dir mal was sagen, mein Sohn: wenn du den Fluß unter den Daumen bekommen willst, dann mußt du dir schon mächtig große Mühe geben und ein großer Mann sein. Aber da wirst du wohl kein Glück damit haben. Gewiß nicht so leicht und obenhin! Wie ist das mit dir? Hast du eine Schule besucht?«
»Ja, vier Jahre lang!« erwiderte Fred eifrig, obgleich er nicht recht begriff, was die Schule damit zu tun hatte, wie man Erde zu einem Deich aufschippte.
»Rechnen hast du auch gelernt?«
»Und wie!« rief Fred. »Ich war der Beste in der Klasse. Wir sind bis zur Dezimalrechnung gekommen. Sie ist mir überhaupt nicht schwergefallen.«
»Wenn das so ist«, sagte Mr. Vance, »dann wüßte ich nicht, warum du nicht ständig für mich arbeiten solltest!«
Fred richtete sich auf:
»Meinen Sie das wirklich, Mr. Vance?«
»Gewiß! Aber jetzt halt den Mund und schlafe endlich!«
»Jawohl, Mr. Vance!« Fred streckte sich aus. Die roten Feuer spiegelten sich in den öden Wassern. Fred fühlte sich gehoben und glücklich. Er würde den Fluß bekämpfen, und außerdem war ihm nun ständige Arbeit sicher. Die Mutter hatte schon recht gehabt, als sie darauf bestand, daß er die Schule besuchte. Wenn nur die Rettungsboote bald auftauchen wollten, damit er nach Hause wandern konnte, ihr die große Neuigkeit zu berichten.
II
C orrie May wußte, daß sie sich nicht um Fred zu ängstigen brauchte. Er war vernünftig und paßte auf sich auf. Aber als sie vernahm, daß weiter stromauf der Deich nachgegeben hatte, war es um ihre Ruhe geschehen. Die Nachrichten von der großen Überschwemmung, die in den Zeitungen standen, sagten ihr nichts; sie konnte sie nicht lesen. So verbrachte sie all ihre karge freie Zeit am Hafen und fragte die Männer aus, ob sie etwas von Fred gehört hätten. Nein, das hätten sie nicht; aber warum sollte es ihm schlechtgehen?! Doch sie brachte es nicht fertig, so wohlgemut wie sie zu sein.
Acht Tage nach dem Dammbruch machte sie sich mittags auf, die reine Wäsche auszutragen. Als sie aus ihrer Seitengasse auf die Hauptstraße trat, erkannte sie plötzlich Fred in der Ferne; er kam ihr entgegen. Sie ließ ihren Korb einfach stehen und rannte auf ihn zu, laut seinen Namen rufend. Auch Fred setzte sich gleich in Trab, als er sie erblickte.
»Fred, lieber Fred!« rief sie. »Ich habe ja solche Angst gehabt. Gott sei Lob und Dank, daß du wieder da bist, lieber Fred –!«
Sie herzte und küßte ihn und vergaß dabei, daß er ein großer Junge war und öffentliche Zärtlichkeiten nicht mehr besonders schätzte. Fred ließ ein verlegenes Lachen hören und entwand sich ihrer Umarmung. »Es ist mir ja nichts passiert. Das siehst du doch. Hör auf, mich zu küssen!«
»Ach, Fred, ich bin so aufgeregt. Warst du dabei, als der Damm brach?«
»Natürlich, ich war dabei!« erwiderte er wie einer, dem solche Abenteuer zum täglichen Brot gehören und den es langweilt, davon zu sprechen.
»Erzähl mir davon!«
»Nicht jetzt! Das dauert zu lange!« meinte er obenhin. »Sag, willst du dich nicht um deine Wäsche kümmern? Es könnte einer leicht damit verschwinden!«
Gemeinsam wanderten sie zu dem verlassenen Korb zurück. »Ich trag' sie für dich!« bot Fred an, als sie nach dem Griffe faßte.
Corrie Mays Erregung klang langsam ab; sie fand schon Muße, ihren Sohn von oben bis unten zu mustern. »Fred Upjohn!« rief sie aus. »Wie siehst du bloß aus!«
Seine Kleider starrten vor getrocknetem Lehm. Sein Hemd hing in Fetzen; ein Ärmel war gänzlich abhanden geraten, und die Hosen flatterten ihm zerfranst um die Beine. Selbst sein Haar war mit Erde verklebt.
Fred lachte ihr in die erschreckten Augen. »Auf den Dämmen wird man dreckig; das ist nun einmal so!« verkündete er heiter. »Heiß ist das heute! Willst du vielleicht eine Limonade trinken?«
»Limonade?« staunte sie.
Fred stelzte schon auf seinen nackten schmutzigen Beinen zu einer Bude hinüber, wo
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