Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße
auf dem Erdboden; stand wieder auf und scharwerkte weiter, kämpfte mit den anderen gegen den Strom, voller Wut wie sie; er kannte sich kaum noch.
Eines Tages stieß Mr. Vance zu ihm, während er einen Sandsack den Abhang hochschleppte.
»Mach's doch mehr wie ein Maultier und ziehe den Sack hinter dir her!« riet ihm Mr. Vance. »Das ist leichter für die Schultern.«
»Ja, Herr!« sagte Fred. Er mochte Mr. Vance gut leiden. Nur selten fand der Deichmeister Zeit, ein paar menschliche Worte an Fred zu richten; doch dann waren sie um so wohltuender.
»Da kommt der Kaffee!« sagte Mr. Vance.
Die Frau eines der Werkleute stolperte heran, mit einem Eimer und einer Tüte aus Zeitungspapier. Ein Dutzend anderer Männer drängte sich herzu, begierig, ihre Tassen in den braunen Trank zu tauchen. Mr. Vance füllte seinen Kaffeetopf, holte sich mit schmutzigen Fingern Zucker aus der Tüte und reichte dann seine Tasse an Fred weiter. »Hier, Jung'! Laßt ihn zuerst trinken, Männer! Er ist kleiner als ihr.«
»Vielen Dank, Herr!« sagte Fred. Er trank das Getränk in großen Schlucken hinunter; es war heiß und duftete prächtig. Mr. Vance grinste zu dem jüngsten seiner Werkleute hinunter; seine Kleider waren derart mit Lehm verschmiert, daß ihre ursprüngliche Farbe nicht mehr zu erkennen war; er hatte sich schon so lange nicht rasiert, daß sein Gesicht einem großen Rundbesen glich. »Das tut gut!« meinte Mr. Vance zu einer der Kaffeeträgerinnen. »Wie uns die Damen hier helfen, das ist wirklich großartig!«
»Uns macht's nichts aus, Herr! Wir tun das mit Vergnügen!« versicherte sie ihm. Es kam so herzlich und aufrichtig heraus, daß Fred sich sagen mußte: auch die Frauen hier umher mochten Mr. Vance gut leiden. »Wenn ich das Abendessen bringe, soll es dann hierher oder weiter stromabwärts geschafft werden?«
»Hierher! Da unten hat heute Mrs. Lyman die Fütterung übernommen.« Er richtete sich wieder hoch. »Na, mein Junge«, meinte er zu Fred, »ich glaube, wir machen uns wieder an die Arbeit. Müde?«
»Nein, gar nicht!« erwiderte Fred kräftig.
Mr. Vance lächelte: »Versuch's also mal, dich wie ein Maultier vor den Sack zu spannen. Es sieht nicht schön aus; aber es macht die Schlepperei leichter.«
Fred machte sich wieder ans Klettern. Dabei zog er den Sandsack hinter sich her, wie ihm geraten war. Er wünschte, Mr. Vance fände häufiger Zeit, mit ihm zu sprechen. Deichmeister zu sein, das war ein schöner Beruf! Irgendwann mußte das Hochwasser wieder absinken. Vielleicht fand Mr. Vance dann Muße, sich ein wenig ausführlicher mit ihm zu unterhalten. Fred wollte von ihm erklärt haben, wie man es anstellte, Deichmeister zu werden.
Die Männer in Freds Kolonne waren an der Reihe gewesen, Kaffee zu trinken; nun machten sie sich alle wieder an die Arbeit. Mr. Vance brüllte einen Maultiertreiber an, und Fred horchte respektvoll hinüber. Mr. Vance besaß einen reicheren Vorrat an Flüchen als alle die Männer, die Fred bisher hatte fluchen hören. Auf der Krone des Dammes zog Fred dem gehetzt dahinschießenden Strom ein langes Gesicht. Nun hatte das Wasser fast schon die obere Kante der Sandsackbarrikade erreicht. Noch immer trieben ganze Bäume, weiter stromauf entwurzelt, in der rasenden Strömung; sie rammten ihre Kronen oder auch die sperrigen Wurzelarme in den Damm hinein, als wären sie Waffen des Stroms und teilten seine Zerstörungswut. Fred lud seinen Sack an dem Haufen ab, von dem aus die Männer die hölzernen Pfeiler verstärkten und polsterten, und machte sich wieder auf den Weg hangab. Die Sonne hatte sich hoch über dem Strom nach Westen hinabgeneigt; schon nahte die Zeit fürs Abendbrot. Er hörte, wie Mr. Vance zu ein paar Männern hinüberschrie: »Sagt der Frau da, sie kann ihre Kühe noch nicht hier nach oben treiben! Die Kühe müssen unten auf dem Feld bleiben, Frau! He, Fred! Fred Upjohn!«
»Ja, Herr?« Fred lief zu ihm hinüber.
»Da hinten müssen mehr Stützpfähle eingerammt werden; bring den Männern ein paar nach oben!«
»Jawohl, Mr. Vance!« Fred hielt einen Augenblick inne und blickte über den Sandsackwall zum Fluß hinüber. »Mr. Vance, ob der Fluß noch höher steigt?«
»Ich hoffe nicht, mein Sohn.« Ein grimmiger Zug stahl sich um seinen Mund. »Ein ganz verdammtes Hochwasser, was?«
»Bestimmt!« gab Fred zu. »Kommt solch Hochwasser häufig vor?«
Mr. Vance schüttelte sein Haupt. »Eine Flut wie diese habe ich noch nicht erlebt und arbeite doch
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